Jugenderinnerungen mit anderen Augen betrachtet
Kindheit in den fünfziger und sechziger Jahren
Im Garten meiner Großmutter befand sich ein Schuppen, der neben Hacke, Rechen und Spaten auch ein Sammelsurium an Chemikalien enthielt. Ich habe noch den Geruch des Blaukorndüngers in der Nase, es gab Spritzmittel gegen die Läuse auf Großmutters gepflegten Rosen, und selbst eine staubige Dose E 605 stand im Regal. Des Lesens schon mächtig, ließ ich dank der Warnung auf dem Etikett die Finger davon.
Mein Weg zur Volksschule (!) führte durch die Weinberge, vorbei an Rebstöcken, die im Sommer fleißig „gespritzt“ wurden. Wer weiß, welche kritische Mengen von Schadstoffen ich in diesen Jugendjahren abbekommen habe? Immerhin: wir waren von den Eltern gewarnt worden, nicht von den gespritzten Trauben zu naschen.
Schwermetall
Meine Generation erinnert sich noch an die Zeit, als es noch keine Tiefkühltruhen gab. Zur Bevorratung wurde Gemüse und Obst in die Einmachgläser der Firma WECK gefüllt und im dazu passenden Topf „eingeweckt“, d. h. sterilisiert und fest verschlossen. Der mächtige Topf war zur Kontrolle des „Einweck“-Vorgangs mit einem großen Quecksilberthermometer ausgestattet. Wie viele dieser Töpfe und Thermometer sind wohl seinerzeit nach Anschaffung einer „G’friere“ inklusive Quecksilberthermometer im Keller oder auf dem Speicher oder gleich auf dem Sperrmüll gelandet?
Ich erinnere mich, dass es mir das Quecksilber besonders angetan hatte: das große Glasthermometer enthielt eine ganz beträchtliche Menge davon. Gelegentlich habe ich eines aufgebrochen und fasziniert die Quecksilberkugeln beobachtet, die zuerst auf dem Tisch, dann auf dem Boden herumkullerten, sich teilten und wieder vereinigten, um schließlich in den Ritzen des Holzdielenbodens zu verschwinden…
Lösungsmittel und Feinstäube
Im Halbstarken-Alter kam die Mopedphase. Dazu gehörte auch die Fantasie, den heißen Ofen durch endlose Herumschrauberei schneller zu machen. Ergo: Zerlegen des Motors in alle Einzelteile, reinigen mit Waschbenzin, anschließend wieder einölen bzw. einfetten und zusammenbauen. Das alles natürlich ohne Handschuhe und geschweige denn Atemschutz. Nach den Mopeds kamen Autos. Aber was für welche… Die zerbeulten Rostlauben bedurften umfangreicher kosmetischer Behandlung mit Schleifen, Grundieren, Epoxidharz spachteln, wieder schleifen und lackieren. Schleifstäube und Lackausdünstungen inklusive. Neben der Garage, da gab es noch die gute Stube. Schöne alte Echtholzmöbel von Großmutter oder vom Sperrmüll. Da gab es auch immer was abzubeizen, zu schleifen und (falls es abgebeizt zu holzig wirkte…) zu lackieren, natürlich mit Kunstharzlack, von Wasserlack war damals noch nicht die Rede. Und am Ende noch reichlich Nitroverdünnung zum Pinsel reinigen.
Trichlorethan und Konsorten im Büro
Architektur und Grafikdesign. In der Vor-Computer-Ära wurde tagtäglich mit TippEx und Klebstoff, insbesondere auch mit dem so wunderbar aromatischen „FixoGum“ gearbeitet. Gerade die Belastung durch TippEx halte ich für besonders relevant, da man das Fläschchen auf dem Schreibtisch immer direkt vor der Nase hatte. Dazu kamen noch die täglich frisch von der Lichtpausanstalt (sic!) gelieferten, noch salmiakfeuchten großformatigen Lichtpausen, die beim Auf- und Zusammenfalten mit intensivem Hautkontakt verbunden waren. Das i-Tüpfelchen dazu bildeten die kräftigen, gelegentlich ahnungsvoll als Stinker diskreditierten „edding“-Filzer.
Autor: Andreas Schairer (Parkinsondiagnose 11/2014)