Physiotherapie

Physiotherapie (PT) ersetzt seit 1994 in Deutschland den Begriff „Physiotherapie“. Historisch gesehen ist PT eine Form der äußerlichen Anwendung bestimmter Heilverfahren und beinhaltet die ganzheitliche Therapie des Körpers und seiner besonderen Gegebenheiten und Einschränkungen durch gezielte Reize, wie z.B. Wärme, Kälte oder Druck. Neben bzw. zusätzlich zur „Physiotherapie“ beinhaltet die PT also auch die gesamte Palette der physikalischen Therapie, welche mit Massagen, Strömen, Wasser und Wärme arbeitet.

In den modernen Physiotherapie Lehrbüchern wird in der Zwischenzeit auch der Begriff „Physiotherapie“ nicht mehr verwendet, da sich durchaus auch gesunde Menschen dieser Verfahren im Sinne einer Prophylaxe bedienen und insbesondere für bereits Erkrankte der Terminus „Gymnastik“ nicht den Kern trifft. Aus Physiotherapie wurde „Bewegungstherapie„, aus meiner Sicht ein sehr sinnvoller Wandel. Der neue Begriff umfasst einen flexiblen Behandlungsprozess, welcher sich an den Möglichkeiten des Patienten im Heilungsprozess anpasst.

Die Wirksamkeit von physiotherapeutischen Behandlungsansätzen wurde lange Zeit angezweifelt. Aus diesem Grund wurden viele Studien durchgeführt, um den Anforderungen einer evidenzbasierten wissenschaftlichen Bewertung und Erfolgskontrolle gerecht zu werden. Je nach Güte einer Aussage unterscheidet man Evidenzklassen 1 – 4 und Evidenzlevel A bis D. 

In den letzten Jahren ist die Zahl dieser Publikationen über die Wirksamkeit verschiedener physiotherapeutischer Verfahren sprunghaft gestiegen. Um sich mit anderen Verfahren vergleichen zu können, wird in den meisten Arbeiten die international verwendete Skala zur Beurteilung der motorischen und nichtmotorischen Behinderung durch die Parkinson-Krankheit, die UPDRS (Unified Parkinsons disease rating scale) als Messverfahren eingesetzt (2) (–> www.parkinson-web.de). Diese Skala wird seit Jahrzehnten in Zulassungsstudien für neue Medikamente gegen Parkinson verwendet. 

Erstaunlich ist, dass einige der (auf den Unterseiten genannten) Therapieverfahren ähnlich gute Verbesserungen in der UPDRS erzielen konnten, wie Parkinson-Medikamente in ihren Zulassungsstudien. Dies sollte insbesondere Krankenkassen zu denken geben, aber auch denjenigen Patienten, welche den Nutzen einer regelmäßigen aktivierenden Begleittherapie bisher für sich noch nicht erkennen konnten.

Bei Morbus Parkinson ist die PT jedoch nicht nur eine sinnvolle Ergänzung zur medikamentösen oder operativen Therapie, sondern für eine ganzheitliche Behandlung unbedingt erforderlich und unverzichtbar, da sich zahlreiche parkinson-typische Krankheitssymptome sowohl der modernen medikamentösen Kombinationsbehandlung, als auch den operativen Verfahren entziehen, wie z.B. die nach vorn gebeugte Körperhaltung, auch Kamptokormie genannt, oder die Parkinson-typische Gangstörung mit „Festkleben“ der Füße am Boden (Freezing). Da sie nicht altersabhängig auftreten, sind durchaus auch jüngere Patienten davon betroffen. 

Zudem ist die Muskulatur eines Parkinson-Patienten ständig angespannt, trotz bester Medikation. Dieser konstant erhöhte Muskeltonus führt – wenn nicht aktiv gegengesteuert wird – neben Schmerzen und vorzeitiger Erschöpfung und ständiger Müdigkeit zu Folgeerkrankungen der Wirbelsäule und der großen Gelenke. Aus diesem Grund ist vom Zeitpunkt der Diagnosestellung an ein regelmäßiges muskelentspannendes Training erforderlich, um späteren Haltungsstörungen vorzubeugen.

Ich empfehle deshalb meinen Patienten von Beginn an ein tägliches Pflichtprogramm von 30 Minuten, welches Dehn- und Streckübungen (heute auch Stretching genannt) von Kopf bis Fuß beinhaltet. Dehnen erhöht die Beweglichkeit der Gelenke, festigt das Bindegewebe, stärkt Sehnen und Bänder, erwärmt die Muskulatur und entspannt den Körper. Diese Übungen sollten zum Alltag gehören, wie das tägliche Frühstück. Da wir Menschen „Gewohnheitstiere“ sind, rate ich, diese Übungen täglich zur selben Zeit in den Tagesablauf einzubauen. Sie sind überall ohne Hilfsmittel durchführbar, am besten im Bett oder auf einer Trainingsmatte.

Beispiel (ein Teil dieser Übung): Sie liegen auf dem Rücken, die Arme liegen neben ihnen: Bauchmuskeln anspannen, Beine angewinkelt nach oben heben und mit beiden Beinen in der Luft „Fahrrad fahren“, jeweils zehnmal vorwärts, dann rückwärts usw.

Physiotherapeuten unterscheiden statisches und dynamisches, aktives und passives Dehnen. Geeignete Hilfsmittel für Dehnübungen: Thera-Band, Gymstick Streching-Stick, Deuser-Band, Stretch-Rite®, Flexi-Bar (Schwingstab), Pezzi-Ball etc. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten sich zu dehnen und sich dabei helfen zu lassen, nicht zuletzt an guten Geräten in Fitness-Zentren. 

Gute Dehnübungen beschreibt Frau Vaitiekunas in ihrem Buch „Physiotherapie bei Parkinson-Syndromen“ (3). Eigentlich ist das Buch als Anleitung für Physiotherapeuten gedacht, daher ist der Text nicht unbedingt Patienten-freundlich. Alle ihre Übungen sind jedoch umfangreich bildlich dargestellt, so dass Übungen auch allein anhand dieser Bilder gut nachvollzogen werden können.

Neben dem täglichen Pflichtprogramm in Eigenregie sollte sich die „Kür“ an den individuellen Funktionseinschränkungen des einzelnen Patienten, z.B. Freezing, Haltungsstörung, Gleichgewichtsstörung usw. und natürlich insbesondere an den eigenen Vorlieben orientieren.

Wenn Schwankungen der Beweglichkeit im Tagesverlauf bestehen (Wirkungsfluktuationen genannt), sollten Übungen immer in die Phase der guten Beweglichkeit („ON“ Phase) gelegt werden. In einer „OFF“ Phase sollte der Körper nicht belastet werden.

Quelle: https://gesundheitskompass-mittelhessen.de/368-physiotherapie-fur-parkinson-patienten-teil-i/


Die Behandlung von Parkinson ist komplex. Daher ist es wichtig, dass der behandelnde Physiotherapeut über parkinsonspezifische Kompetenzen verfügt.

Wenn kein entsprechend ausgebildeter Physiotherapeut zur Verfügung steht, können Sie den Sie behandelnden Physiotherapeuten über die Europäische Parkinson Leitlinie informieren und ihm eine Kopie der Quick Reference Cards übergeben.

Quelle: Europäische Physiotherapie Leitlinie zum idiopatischem Parkinson-Syndrom


Die Physiotherapie zur Linderung der hypokinetischen Symptome versucht einerseits, die noch vorhandenen Bewegungsmuster optimal auszunutzen, andererseits die verloren gegangenen erlernten oder automatisierten Bewegungen durch Neuerlernte zu ersetzen. Weil die Lernmöglichkeiten infolge der Krankheit von Anfang an eingeschränkt sind, hat die Motivierung der Patienten für diese ergänzende Therapie sehr früh, schon bei der Diagnosestellung eine große Bedeutung. Auch die Notwendigkeit der Kontinuität dieser Übungsbehandlungen sollte dem Patienten klar sein. Leider schränken eine eventuell vorhandene Depression mit deutlichem Antriebsmangel oder eine dementielle Entwicklung die Möglichkeiten der gezielten Physiotherapie oft ein.

Um die noch vorhandenen automatischen Bewegungen zu erhalten, ist die ständige Wiederholung der Bewegungen nötig. Die Bewegungen werden häufig mit Musik bzw. mit Rhythmus ausgeführt, einzeln mit dem Therapeuten oder in der Gruppe. Kommandos, Taktgeber, Marschmusik per Lautsprecher, MP3-Player oder Walkman sind sehr hilfreich. Auch die optische Gestaltung des Übungsraumes (Streifen oder Stäbe auf dem Fußboden, Schachbrettmuster usw.) fördert den Trainingseffekt. Es werden auch einfache Geräte wie Bälle, Stäbe, Tücher verwendet. Entsprechend des Schweregrades der Symptomatik werden die Übungen im Gehen, stehend oder sitzend durchgeführt, bei schwerkranken Patienten sogar im Bett. Wenn möglich, wird das Bewegungstraining in verschiedenen Körperhaltungen ausgeübt. Um die Gleichgewichtsreflexe zu unterstützen, werden auch bewegliche Untergründe (Schaukelbrett, Trampolin, Laufband, Pezziball) verwendet. In der letzten Zeit werden außerdem Trainingsgeräte eingesetzt. Es ist aber wichtig, dass die Übungen die Patienten nicht überfordern und dass die Ausprägung der Symptomatik und die Leistungsfähigkeit der Patienten immer berücksichtigt werden.

Gezielte Übungen und Ausarbeitung bzw. Erlernen von verschiedenen Techniken beim Hinsetzen, Aufstehen vom Stuhl, vom Bett, Umdrehen im Bett, Lagewechsel sind ebenfalls Aufgabe der Physiotherapie.