Nichtmotorische Krankheitssymptome in den OFF-Phasen

Wie es zu Wirkungsfluktuationen kommt und was man darunter versteht, wurde in dem Übersichtsartikel über motorische Komplikationen der Langzeitbehandlung des Morbus Parkinson bereits ausführlich beschrieben und erläutert.

Zur Erinnerung: Nach einer gewissen Krankheitsdauer kommt es zu einem Nachlassen der regelmäßigen Wirksamkeit der Medikation. Wirken die Medikamente, kann sich der Patient gut bewegen – dieser Zustand wird „ON“-Phase genannt (von ON aus dem Englischen „AN“). Lässt die Wirksamkeit nach treten vermehrt Symptome der Krankheit in Erscheinung. Im motorischen Bereich sind dies im Wesentlichen Steifheit, Bewegungsverlangsamung oder ein Zittern. Da sich die Bewegungseinschränkung bis zur völligen Erstarrung steigern kann, werden diese Zeitabschnitte „OFF“-Phasen genannt (von OFF aus dem Englischen „AUS“). Ein Patient beschrieb diesen Zustand mit folgenden Worten: „Ich fühle mich wie ein Roboter, der durch eine unsichtbare Hand ein- und ausgeschaltet wird.“ Dieses On-Off beherrscht häufig den gesamten Tagesablauf des Betroffenen und führt zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Alltagsbewältigung und der Lebensqualität. Tritt dieses Nachlassen der Wirkung regelmäßig am Ende eines Dosisintervalls und vor Einnahme der nächsten regulären Dosis auf, nennt man diese Art der Wirkungsschwankung „end-of-dose“ (Ende der Dosis) oder „wearing-off“ (die Wirkung des Medikamentes ist verbraucht bzw. geht zu Ende).

Neben den motorischen Störungen der Bewegungsabläufe leiden Parkinson-Patienten auch an „nicht-motorischen“ Krankheits-Symptomen, wie z.B. Schmerzen, Denkverlangsamung, Depressionen oder vegetativen Funktionsstörungen. Sie werden NMS – „Non Motor Symptoms“ genannt. Diese NMS können einen größeren Einfluss auf die Lebensqualität der Patienten nehmen, als motorische Symptome. Sind diese nichtmotorischen Krankheitssymptome permanent vorhanden, sprechen sie nur bedingt auf eine Behandlung mit Parkinson-Medikamenten an. Sie benötigen dann neben der Parkinson-Medikation eine zusätzliche gezielte Behandlung. Zur Erfassung dieser nicht-motorischen Störungen steht der NMSQuest zur Verfügung. Dabei steht NMS für „Nicht-Motorische-Symptome“, Quest ist die Abkürzung von Questionnaire, das englische Wort für Fragebogen. Es handelt sich um einen Screening-Fragebogen für Patienten, auf dem 30 nicht-motorische Krankheits-Symptome in Form einer Checkliste mit „ja“ oder „nein“ beantwortet werden können. Zur Erfassung von Häufigkeit und Schwere nicht-motorischer Krankheitssymptome gibt es außerdem die NMSScale, welche vom behandelnden Arzt auszufüllen ist.

Analog dazu sind OFF-Phasen nicht nur durch eine Einschränkung der Beweglichkeit gekennzeichnet. Auch nicht-motorische Erscheinungen können auftreten und das Allgemeinbefinden des Patienten zusätzlich erheblich belasten. Sie werden NMOS – Non Motor Off Symptoms – oder fluktuierende NMS genannt. Sie unterscheiden sich von den normalen zur Krankheit gehörenden nicht-motorischen Symptomen dadurch, dass sie entweder nicht permanent, sondern nur in den OFF-Phasen auftreten oder zu einer Verschlechterung bereits vorhandener nicht-motorischer Symptome in den OFF-Phasen führen.



Nicht-motorische Krankheits-Symptome in den OFF-Phasen können in drei große Gruppen unterteilt werden:

  1. Veränderungen von Stimmung und Verhalten
  2. Veränderung autonomer Funktionen einschließlich Schmerzen
  3. Veränderungen von Konzentration und Aufmerksamkeit

Veränderungen der Stimmungslage und des Verhaltens

Neben der Veränderung der Beweglichkeit kann sich auch die Stimmungslage in den OFF-Phasen relativ abrupt ändern. Die Patienten beschreiben innerliche Unruhe, Unwohlsein, Gereiztheit, Frustration und erhöhte Irritierbarkeit durch äußere Reize. Depressionen und Angstzustände mit oder ohne Panikattacken können auftreten. Die in den Panikattacken auftretenden körperlichen Symptome reichen von Herzjagen, Übelkeit, Bauchschmerzen, Brustschmerzen, Atemnot bis zum Erstickungsgefühl über Schweißausbrüche bis hin zu dem Gefühl, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu bekommen. Einige Patienten haben Angst, jegliche Kontrolle zu verlieren und zu sterben. Ein Teil der Patienten zieht sich zurück und möchte allein sein, der größere Teil hat Angst und benötigt engmaschige Zuwendung, häufig eine große Herausforderung für den Partner. Das Interesse ist eingeengt auf die eigene Person, die Umwelt tritt in den Hintergrund. Handelt es sich um nächtliche OFF-Phasen, wird der Schlaf dadurch permanent unterbrochen.

Veränderungen der autonomen Funktionen einschließlich Schmerzen

Ganz häufig treten in den OFF-Phasen Schmerzen in den Oberschenkeln oder Beinen auf, im Rücken oder im ganzen Körper. Es kann zu Missempfindungen mit Kribbeln oder Taubheitsgefühlen kommen, insbesondere in den Beinen, manchmal aber auch halbseitig (die vom Parkinson mehr betroffene Seite). Vereinzelt wird über Schmerzen in der Mundhöhle und im Genitalbereich berichtet. Das Gehör ist beeinträchtigt, Hörstörungen wie Klingeln oder Tinnitus werden berichtet. Das Sehen kann verschwommen sein, Doppelbilder können auftreten. Die Blase ist angespannt und die Patienten müssen ständig kleine, unerhebliche Mengen Wasser lassen, können dies jedoch nicht halten. Da die Motorik ebenfalls eingeschränkt ist, benötigen sie dafür Hilfe. Manche Angehörige müssen somit in der Nacht bis zu 20 Mal aufstehen, um dem Partner beim Wasserlassen zu helfen. Die Patienten schlucken kaum noch und dadurch ist der Speichelfluss extrem vermehrt, sie schwitzen profus und müssen sich mehrfach umkleiden. Bei sonst eher niedrigem Blutdruck kann dieser in den OFF-Phasen Wert über 200 mmHg systolisch erreichen. Dies wiederum kann zu Kopfdruck, Missempfindungen und klopfenden Gefühlen in den Ohren führen.

Veränderungen der Konzentration und der Aufmerksamkeit

Das Denken der Patienten wird zunehmend erschwert, sie fühlen sich erschöpft und müde, es fällt ihnen schwer, sich zu konzentrieren und mit anderen zu sprechen. Sie klagen über Wortfindungsstörungen und phasenweise Verwirrtheit. Halluzinationen und wahnhafte Gedanken, die nur in den OFF-Phasen auftreten, werden beschrieben. Zwanghafte Verhaltensweisen können auftreten.

Therapie der nicht-motorischen Symptome im OFF

Gelingt es, die Off-Phasen durch eine Anpassung der Parkinson-Medikamente zu verkürzen oder zu unterbinden, treten auch die an die Off-Phasen gebundenen nicht-motorischen Symptome in den Hintergrund, bessern sich oder können völlig verschwinden.

Die verschiedenen Möglichkeiten der medikamentösen Beeinflussung wurden im oben bereits genannten Übersichtsartikel ausführlich beschrieben, deshalb sei hier noch einmal auf diesen verwiesen.

Behandlungsalltag, da ein beginnendes Wearing-off übersehen werden kann, insbesondere, wenn nur nichtmotorische Symptome auftreten. Zur Erkennung hat sich bisher der „Wearing-off-Questionnaire“ (WOQ-9) mit 9 Fragen, bewährt. Entwickelt wurde er von einer internationalen Arbeitsgruppe unter der Leitung von Herrn Prof. Stacy Durham (USA). Dieser einfache Fragebogen erfasst sowohl die wichtigsten motorischen als auch nicht-motorischen Krankheits-Symptome, ist einfach auszufüllen und kann dazu beitragen, Off-Phasen zeitig zu erkennen und zu behandeln. Er befindet sich zurzeit in Überarbeitung, so dass er auf der bisherigen Website nicht mehr auswählbar ist. Interessierte können den Fragebogen in den DPV Nachrichten von Dezember 2009 auf Seite 14 einsehen.

Neuer Fragebogen zu NMOS

Kanadische Mediziner entwickelten 2011 einen neuen Patientenfragebogen zur Erfassung nicht-motorischer Symptome im Wearing-Off, das NoMoFA – Non-Motor Fluctuation Assessment. In drei Gruppen wurden sämtliche nicht-motorische Symptome erfasst, die abhängig von der Medikamenteneinnahme auftraten. Die Auflistung erfolgte sowohl durch die Patienten als auch ihre Betreuer. Zusätzlich wurde der Einfluss dieser Symptome auf die Lebensqualität ausgewertet. Am häufigsten genannt und gleichzeitig als besonders belastend empfunden wurden Schmerzen, Verwirrtheit, verminderte Konzentrationsfähigkeit, Frustration, häufiges Wasserlassen, Inkontinenz, Wortfindungsstörungen, Speichelfluss, Kurzzeitgedächtnisstörungen und zwanghafte Verhaltensweisen. Insgesamt wurden 28 nicht-motorische Symptome in den Fragebogen aufgenommen. Es wird jeweils gefragt, ob und in welchem Ausmaß sich die Beschwerden bei Nachlassen der L-Dopa-Wirkung verschlechtern bzw. nach Einnahme der nächsten regulären dopaminergen Medikation verbessern.

NoMoFlu PD Studie

Auch deutsche Forscher beschäftigen sich seit Jahren mit den nicht-motorischen Off-Symptomen. Um die Art und die Schwere nicht-motorischer Symptome im OFF zu erfassen und mit den motorischen Symptomen zu vergleichen, wurde aktuell die NoMoFlu-PD Studie (von Non-Motor-Fluctuations bei Parkinson’s Disease) durchgeführt. Bei 100 Patienten wurden folgende zehn nicht-motorischen Symptome erfasst: Schluckstörung, Angst, Depression, Fatigue, starkes Schwitzen, innere Unruhe, Schmerzen, Störungen von Konzentration und Aufmerksamkeit, Verwirrtheit, Blaseninkontinenz. Psychische Veränderungen wie Angst, Depression oder Erschöpfung waren im OFF deutlich häufiger bzw. schwerer als im ON. Autonome Symptome, wie Schwitzen oder Blasenstörungen veränderten sich in dieser Studie nicht. Die Ergebnisse wurden von Herrn Prof. Storch aus Dresden auf dem Kongress der Deutschen Neurologen in Hamburg 2012 vorgestellt.

Off-Phasen sollten nicht mit Nebenwirkungen der Medikation verwechselt werden

Häufig werden diese Symptome in den OFF-Phasen mit Nebenwirkungen der Medikation verwechselt. Ein Beispiel aus dem Alltag:
Herr X. wird seit 3 Jahren regelmäßig von mir betreut. Bisher war sein Befinden stabil. Nun berichtet er jedoch über Nebenwirkungen der Medikation. Aus diesem Grund möchte er die Medikamente nicht mehr einnehmen. Immer nach der Einnahme gehe es ihm in den folgenden 30 bis 45 Minuten immer schlechter. Das Zittern würde zunehmen, die Beweglichkeit werde schlechter und er schwitze sehr stark. Er fühle sich innerlich unruhig und sei ängstlich. In dieser Zeit möchte er nicht allein sein. Etwa eine Stunde später werde dann alles besser. Herr X. leidet unter beginnenden Schwankungen der Wirksamkeit und die von ihm berichtete Verschlechterung entspricht einer OFF-Phase.

Wie kommt es zu dieser Verwechslung?

Viele Patienten gehen davon aus, dass es ihnen besser gehen müsse, sobald sie ihre Medikamente eingenommen haben. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die meisten Parkinson-Medikamente benötigen etwa 20 bis 30 Minuten für ihren Weg aus dem Mundhöhle über Magen, Darm und Blutbahn in das Gehirn. Im Gehirn angekommen, müssen sie auch noch an die Bindungsstellen in den Nervenzellen der Basalganglien andocken. Erst dann tritt die für den Patienten spürbare Wirkung ein.

In den ersten Jahren der Therapie mit L-Dopa ist von diesen 30 Minuten nichts zu spüren. Die Medikamente werden in den Nervenzellen des Gehirns wie in einem Speicher eingelagert und annähernd physiologisch freigesetzt. Aus diesem Grund ist der Übergang von einer zur anderen Medikamentendosis nicht wahrnehmbar.

Erst, wenn die Speicherfähigkeit durch den krankhaften Prozess vermindert oder aufgehoben wird, merkt der Patient genau, wann seine Medikamente wirken und wann nicht. Wenn nun die Wirkung der vorherigen Dosis bereits zur Neige geht und dann erst die nächste reguläre Dosis eingenommen wird, kommt es eben zu dieser Wirkungslücke mit dem Wiederauftreten der sonst unterdrückten Symptome der Krankheit.

Ziel muss es in diesem Stadium der Krankheit sein, durch eine Anpassung der Medikamente diese Übergangsphasen so kurz wie möglich zu gestalten. OFF-Phasen sollten also nicht mit Nebenwirkungen der Medikation verwechselt werden. Nicht das Absetzen der Medikation ist hier richtig, sondern eine Veränderung der Dosis oder der Einnahmeintervalle.

Auch nicht-medikamentöse Behandlungsansätze nicht vergessen

Neben den Möglichkeiten der Medikation sollte natürlich auch darüber nachgedacht werden, was man noch tun kann, um mit OFF-Phasen im Alltag besser umgehen zu können. Ein alleiniges Ändern der Medikation oder eine zusätzliche Einnahme von L-Dopa in löslicher Form würde dazu führen, dass immer höhere Dosen eingenommen werden müssen.

Kurze OFF-Phasen, in denen der Patient keine Schmerzen oder Krämpfe ertragen muss und nicht an Panikattacken leidet, werden von einigen meiner Patienten durch Entspannungsübungen oder durch einen einfachen Rückzug („Ich lege mich in meinen Entspannungssessel und höre Musik.“) überbrückt. Einige behelfen sich mit formelhafter Vorsatzbildung, ähnlich wie in der Psychotherapie: z.B. „Mir kann nichts passieren! Ich bin stark!“.

Es gibt aber auch Patienten, insbesondere mit schmerzhaften Muskelkrämpfen, welche sich nicht zurückziehen, sondern die Krämpfe eher wegtreten: sie gehen auf dem Heimtrainer oder auf das Laufband. Auch wenn sich dies eigenartig anhört, diesen Patienten hilft eher die Bewegung. Sie haben das Gefühl, sie könnten dadurch den Eintritt der Wirkung beschleunigen. Es wäre sehr spannend, eine Sammlung solcher individueller Beeinflussungsmöglichkeiten im OFF zu sammeln, um Patienten, die neu damit konfrontiert werden, neben den klassischen medikamentösen Behandlungsmethoden eben auch alternative Therapien zu Auswahl stellen zu können.

Wichtig für alle Patienten und auch deren Angehörige ist jedoch: Jede OFF-Phase geht wieder vorbei! So wie selbst dem strengsten Winter immer der Frühling folgt, so folgt selbst der schlimmsten OFF Phase immer das nächste ON!

Literatur:
Kleiner-Fisman G, Martine R. Development of a Non-Motor Fluctuation Assessment Instrument for Parkinson’s Disease, 2011, doi:10.4061/2011/292719
Storch A, Schneider C, Wolz M et al. Nonmotor fluctuations in Parkinson disease. Severity and correlation with motor complications. Neurology 2013, doi: 10.1212/WNL.0b013e318285c0ed

Stand März 2013 | Dr. Ilona Csotii – Gertrudis-Klinik Biskirchen