Konzept zur Physiotherapie bei Parkinson
Klinische Erfahrungen und Ergebnisse der Berliner BIG-Studie
Aktivierende Therapien wie Logopädie, Physio- und Ergotherapie stellen bei der Parkinson-Erkrankung eine wichtige Ergänzung der medikamentösen Behandlung dar. Besonderen Stellenwert haben aktivierende Therapien bei der Behandlung von unzureichend auf Medikamente ansprechenden Symptomen, zu denen zum Beispiel Sprechstörungen sowie Gang- und Gleichgewichtsstörungen gehören. Außerdem kann frühzeitiges körperliches Training der fortschreitenden Bewegungsverarmung entgegen wirken.
Zu den am besten erforschten aktivierenden Therapien gehört das Lee Silverman Voice Treatment (LSVT-LOUD), das ein intensives Training der Sprechlautstärke beinhaltet. In der Berliner BIG Studie wurde die Wirksamkeit der aus dem LSVT-Stimmtraining abgeleiteten Physiotherapie-Methode LSVT-BIG untersucht, bei der ein intensives Training von Bewegungen mit großer Amplitude (Bewegungsumfang) erfolgt.
Hintergrund
Viele der im Langzeitverlauf der Parkinson-Erkrankung auftretenden Probleme wie Gang- und Gleichgewichtsstörungen sprechen nur unzureichend auf Medikamente an. Auch bei optimaler medikamentöser Einstellung tritt bei vielen Betroffenen eine allgemeine Bewegungsverarmung ein, Alltagsaktivitäten werden mit zunehmend kleinen und langsamen Bewegungen ausgeführt. Ein typisches Beispiel hierfür ist das Gehen mit kleineren Schritten und reduziertem Mitpendeln der Arme. Die meisten Betroffenen können Tempo und Umfang ihrer Bewegungen zwar kurzfristig steigern, fallen aber umgehend wieder in das parkinsontypische Bewegungsmuster zurück, wenn sie ihre Aufmerksamkeit nicht mehr auf die Bewegungsausführung konzentrieren.
Viele dieser medikamentös nur unzureichend beeinflussbaren Probleme können gezielt durch aktivierende Therapien behandelt werden. Neuere Ergebnisse der Grundlagenforschung haben zudem gezeigt, dass intensives Üben von Bewegungen (im Tiermodell der Parkinson-Krankheit) Veränderungen des Krankheitsverlaufs und einen Schutz der dopamin-produzierenden Nervenzellen bewirken kann.
Obwohl die Bedeutung der Übungsbehandlung zunehmend erkannt wird, gibt es allerdings bisher nur wenige wissenschaftliche Untersuchungen zur Wirkung verschiedener aktivierender Therapien bei der Parkinson-Erkrankung. Die derzeit am besten untersuchte aktivierende Therapie bei Parkinson ist das Lee Silverman Voice Training (LSVT®) bei dem in intensiver Einzeltherapie eine Verbesserung der Sprechlautstärke geübt wird (LSVT-LOUD). Eine starke und lang anhaltende Wirkung der LSVT-LOUD Therapie wurde in mehreren wissenschaftlichen Untersuchungen nachgewiesen. Eine amerikanische Forschungsgruppe hat jetzt ausgehend vom LSVT-LOUD das neue Behandlungskonzept LSVT-BIG entwickelt, das speziell auf die Verbesserung der Bewegungen bei Parkinson ausgerichtet ist.
Therapieprinzip
Durch intensives Wiederholen der Übungen und kontinuierliche Rückmeldung über die erzielten Ergebnisse werden ungenutzte Möglichkeiten des Übenden aktiviert und ausgebaut. Der Therapeut motiviert den Patienten jede Bewegung mit möglichst großem Einsatz („mindestens 80% der maximalen Energie“) und spürbarer Anstrengung auszuführen. Durch ständige Rückmeldung des Therapeuten lernt der übende Patient, die Wahrnehmung seiner eigenen Bewegungen neu zu „kalibrieren“. Im Gegensatz zur herkömmlichen Physiotherapie bei Parkinson erfolgt das Training bei LSVT-BIG innerhalb eines kurzen Zeitraums (vier Wochen) in sehr hoher Intensität (wöchentlich 4 x 60 Minuten in Einzeltherapie). Aufgrund der hohen Therapiedichte und der teilweise anspruchsvollen Übungen ist LSVT-BIG nicht für Patienten mit weit fortgeschrittener Parkinson-Erkrankung, Sturzgefährdung oder schweren Begleiterkrankungen geeignet.
Anders als bei konventioneller Physiotherapie ist im Anschluss an das 4-wöchige LSVT-BIG-Training keine regelmäßige Fortsetzung der Therapiestunden erforderlich. Durch die Anwendung von „BIG-Bewegungen“ im Alltag entsteht zunehmend eine Situation des permanenten Übens, so dass die verbesserten Bewegungsabläufe auch ohne Hilfe eines Therapeuten selbständig eingesetzt werden.
Die Berliner BIG-Studie
Mit Unterstützung der deutschen Parkinson-Vereinigung wurde die Wirksamkeit der LSVT-BIG-Therapie in der Berliner BIG-Studie bei 60 Patienten mit Parkinson-Erkrankung in milden bis moderaten Krankheitsstadien untersucht. Jeweils 20 Probanden wurden auf drei verschiedenen Behandlungsgruppen verteilt.
- Gruppe 1: Intensive krankengymnastische Behandlung nach der LSVT-BIG-Methode. 4 Einzeltherapien pro Woche in einem Zeitraum von 4 Wochen (16 Therapiesitzungen von jeweils 1 Stunde).
- Gruppe 2: Gruppenbehandlung (jeweils 5 Teilnehmer) mit physiotherapeutisch geleitetem Nordic-walking, 2 Stunden pro Woche über 8 Wochen (insgesamt 16 Therapiestunden).
- Gruppe 3: „Inaktive“ Vergleichsgruppe, erhielt eine einstündige Anleitung für ein häusliches Selbstübungsprogramm und keine weiteren Schulungsmaßnahmen durch Therapeuten.
Vor Behandlungsbeginn, am Behandlungsende und nach vier Monaten erfolgte eine ausführliche ärztliche Untersuchung der Beweglichkeit, Hirnleistung und Lebensqualität. Hauptkriterium für den Behandlungserfolg war eine Verbesserung des „UPDRS-Motor-Score“. Diese international gebräuchliche Bewertung der Beweglichkeit wurde durch einen „verblindeten“ Auswerter vorgenommen, der nicht über Untersuchungszeitpunkt und Gruppenzugehörigkeit der Patienten informiert war.
Die Veränderung der Beweglichkeit zwischen der Eingangs- und der Abschlussuntersuchung unterschied sich deutlich zwischen den Behandlungsgruppen: Während in der BIG-Gruppe eine Verbesserung um 5 Punkte im UPDRS-Motor-Score feststellbar war, verschlechterten sich die beiden anderen Gruppen um 1,7 (Hausübungsprogramm) bzw. 0,6 (Nordic Walking) Punkte.
Zusammenfassend kann nach den Ergebnissen der Berliner BIG-Studie davon ausgegangen werden, dass LSVT-BIG ein wirkungsvolles Behandlungsverfahren bei Patienten in frühen bis mittleren Stadien der Parkinson-Erkrankung darstellt. Die LSVT-BIG-Therapie ist als intensive Einzeltherapie aufwändiger aber auch wirksamer als Nordic Walking oder ein Hausübungsprogramm. Die Studienergebnisse wurden in der internationalen Fachwelt und in den Medien (z.B. TV-Beiträge in ARD-Ratgeber Gesundheit, RBB-Quivive, ZDF) sehr positiv aufgenommen.
Von der Forschung in die Versorgung: wie geht es weiter?
In Anbetracht der positiven Studienergebnisse ist es wünschenswert, möglichst vielen Betroffenen den Zugang zu einer LSVT-BIG-Therapie zu ermöglichen. Hierfür wird zum Einen eine ausreichend hohe Zahl von qualifizierten Therapeuten, zum Anderen eine Übernahme der Behandlungskosten durch die Kostenträger. Aktuell wurde in Kooperation mit der US-amerikanischen Organisation LSVTglobal ein Ausbildungsprogramm für Physiotherapeuten gestartet, das Krankengymnasten und Ergotherapeuten mehrmals im Jahr die Möglichkeit bietet, ein Zertifikat zur Ausübung von LSVT-BIG zu erwerben. Nähere Informationen zu diesen Kursen können bei der Koordinatorin des Ausbildungsprogramms, Frau Dr. Grit Mallien (e-mail: mallien@parkinson-beelitz.de) angefordert werden.
Problematischer und zeitaufwändiger wird sich die Aufnahme von LSVT-BIG in den Heilmittelkatalog gestalten, die eine Voraussetzung der Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkasse darstellt. Hierfür sind weniger Wirkung und Nutzen der Behandlung ausschlaggebend als finanzielle Gesichtspunkte. Es bleibt zu hoffen, dass sich als wirksam erkannte Behandlungsmöglichkeiten auch in Zeiten allgegenwärtiger Kostendämpfung im Gesundheitswesen durchsetzen werden.
Literatur
Ebersbach G, Ebersbach A, Edler D et al. Comparing Exercise in Parkinson`s Disease -The Berlin BIG Study. Mov Disord 2010; 25: 1902 – 1908
Die Berliner BIG-Studie wurde von deutschen Parkinson-Vereinigung (DPV) finanziell gefördert
Stand Oktober 2012 | Priv.-Doz. Dr. G. Ebersbach, Neurologisches Fachkrankenhaus für Bewegungsstörungen / Parkinson Beelitz-Heilstätten