Parkinson und Anästhesie

Einleitung

Vielleicht wird bei Ihnen in der nahen Zukunft ein operativer Eingriff notwendig sein.

Wir möchten vorausschicken, dass unter Beachtung der nachstehend geschilderten Vorsichtsmaßnahmen das Risiko der Anästhesie bei Parkinson-Patienten nicht größer ist als für vergleichbare Altersgruppen.

Um die Besonderheiten der Parkinson-Krankheit bei der notwendigen Narkose oder der örtlichen Betäubung berücksichtigen zu können, lesen Sie bitte sorgfältig diese Seiten und besprechen Sie alles mit Ihrem Narkose-Arzt, der Sie bei der Operation betreuen wird. Einige Ausführungen dieses Artikels, die Ihnen „zu medizinisch“ erscheinen, können Sie sich vom Arzt erklären lassen.

Der Artikel beschäftigt sich nicht mit der notwendigen Anästhesie bei der tiefen Hirnstimulation (THS).

Allgemeine Bemerkungen

Wenn Sie sich über die Narkose und die Parkinson-Krankheit mit anderen Patienten unterhalten, werden Sie oft einige Aussagen hören, die Ihnen eventuell Angst vor der Narkose machen können.

Einige Patienten sind der Meinung, dass ihre Parkinson-Krankheit durch die Narkose ausgelöst wurde. Diesbezüglich können wir Sie beruhigen, Parkinson kann nicht durch eine Narkose ausgelöst werden. Wir wissen, dass die ersten Symptome der Parkinson-Krankheit erst dann auftreten, wenn ca. 50 Prozent der dopamin-produzierenden Zellen in der Schwarzen Substanz des Gehirns nicht mehr funktionsfähig sind. Dies ist ein Vorgang, der ca. 5 Jahre dauern kann, das heißt, dass die Krankheit bei den Patienten, die nach der Operation Parkinson-Symptome zeigten, schon seit längerer Zeit ohne wahrnehmbare Symptome bestand. In diesen Fällen hätte die Krankheit auch ohne Narkose bald die ersten Zeichen gezeigt. Die Auswirkungen der Narkose waren höchstens die letzten Tropfen, die das Glas zum Überlaufen brachten.

Es wird auch häufig diskutiert, dass die Allgemeinanästhesie (Vollnarkose) die Symptome der Parkinson-Krankheit verschlechtern kann. Dies ist leider auch bei der besten Narkoseführung nicht ausgeschlossen und macht in einigen Fällen nach der Operation eine medikamentöse Neueinstellung notwendig, häufig unter stationären Bedingungen in einer geeigneten Parkinson-Abteilung oder Klinik. Auch die nach der Operation selten auftretende Verwirrtheit, Desorientierung (Durchgangsyndrom) sollte beim Weiterbestehen in den genannten Einrichtungen stationär behandelt werden.

Wegen der Möglichkeit der Verschlechterung der Parkinson-Symptome, die übrigens nach der medikamentösen Neueinstellung im Allgemeinen rückläufig ist, wird empfohlen, nur unbedingt notwendige Operationen durchführen zu lassen. Es ist auch abzuwägen, ob sich die geplante Operation nicht in örtlicher Betäubung oder unter Spinal- oder Periduralanästhesie (Rückenmarkbetäubung) anstelle unter Vollnarkose durchführen lässt. Allerdings muss die Art der Operation dies zulassen und es dürfen dem keine medizinischen Gesichtspunkte entgegenstehen.

Das dritte und wichtigste Problem betrifft die Betreuung der Patienten vor und nach der Operation. Immer wieder hören wir von Patienten, dass sie vor und nach der Narkose eine zu lange Medikamentenpausehatten oder die Dosierung der Antiparkinson-Mittel (Zusammensetzung, Einnahmezeiten und Einzeldosen) nicht eingehalten wurde. Dies hatte dann zur Folge, dass sich die Symptome der Parkinson-Krankheit erheblich verschlechterten und die Mobilisierung der Patienten nur verzögert möglich war. Im ungünstigsten Fall könnte die Unterbrechung der Medikation zu einem schweren L-Dopa-Entzugs-Syndrom (akinetische Krise) führen.

Deswegen empfehlen wir unseren Parkinson-Patienten, z.B. diesen Artikel mit ihrem Narkose-Arzt zu besprechen und für Notfälle den Parkinson-Ausweis mit der aktuellen Medikation und den Narkose-Anhänger der Deutschen Parkinson-Vereinigung immer bei sich zu führen.

Es ist auch zu empfehlen, die notwendigen Parkinson-Medikamente in ausreichender Menge in die Klinik mitzunehmen, weil diese Medikamente in der Chirurgie im Allgemeinen nicht vorrätig sind und erst bestellt werden müssen, was zu einer Verzögerung und dadurch zu einer ungewollten Medikamentenpause führen kann.

Der Patient oder seine Angehörigen sollten einige Besonderheiten der Parkinson-Krankheit mit dem Arzt und dem Pflegepersonal besprechen. Es ist häufig nicht bekannt und wird deswegen mitunter nicht ernst genommen, dass der Parkinson-Patient seine zahlreichen Medikamente täglich 6- oder 8-mal in kleineren Dosen nehmen muss. Es wird oft versucht, den Medikamentenplan zu „vereinfachen“ (z.B. täglich 3×1-2). Diese Änderung der Medikation führt zur erheblichen Verschlechterung der Symptome und darf nicht hingenommen werden!

Auch die Fluktuation der Medikamentenwirkung im Sinne der „on-off“-Symptomatik ist im Allgemeinen weniger bekannt und wird häufig falsch gedeutet. Es ist für Nichtbetroffene auch schwer zu verstehen, dass der Patient, der vor einer Minute noch fast symptomfrei war, sich jetzt nicht mehr bewegen kann.

Vorbereitung der Narkose

Grundsätzlich soll die Medikamentenpause so kurz wie möglich sein. Infolge der Möglichkeiten der modernen Anästhesie ist es nicht mehr notwendig, die Antiparkinsonmittel 12 Stunden vor der Operationabzusetzen. Eine Ausnahme stellen die so genannten Anticholinergika dar, diese sollten bei planbaren Operationen einige Tage vorher ausschleichend abgesetzt werden. Die Parkinson-Medikamente werden bis am Morgen vor der Operation und baldmöglichst danach mit einem kleinen Schluck Wasser eingenommen.

Es ist zweckmäßig, die Operation eines Parkinson-Patienten frühmorgens anzusetzen, damit die medikamentöse Antiparkinson-Therapie so bald wie möglich wieder aufgenommen werden kann.

Für die abendliche Prämedikation (vorbereitende Medikamentengabe) aber auch für die Medikation eine Stunde vor Narkosebeginn werden so genannte Benzodiazepine eingesetzt.

Die Narkose

Einleitung der Narkose

Zur Narkoseeinleitung wird üblicherweise Propofol eingesetzt. Auch Barbiturate oder zusätzlich Benzodiazepine sind möglich. Wegen der Aspirationsgefahr (Verschlucken von Mageninhalt während der Narkose) wird eine so genannte „rapid sequence induction“ durchgeführt werden. (Dies ist eine Sonderform der Narkoseeinleitung für aspirationsgefährdete Patienten). Die meisten Morphin-ähnlichen Schmerzmittel können zur Analgesie (Schmerzlinderung) verabreicht werden. Einige von ihnen haben aber Wechselwirkungen mit MAO-Hemmern (auch Selegilin, Rasagilin und Moclobemid). Deswegen sollte der Anästhesist über die Medikation mit MAO-Hemmern informiert werden.

Narkoseaufrechterhaltung

Die Allgemeinanästhesie wird regelhaft unter Beatmung mit einem sauerstoffangereicherten Gasgemisch entweder unter Verwendung von Narkosegasen ggf. in Kombination mit Lachgas oder unter kontinuierlicher Zuführung von intravenösem Anästhetika aufrechterhalten.

Grundsätzlich werden gut steuerbare Anästhetika bevorzugt, da sie eine außerordentlich rasche Erholung nach der Narkose (binnen 10 Minuten) ermöglichen. Dadurch wird (wenn keine operativen Aspekte entgegenstehen) auch eine zügige Wiederaufnahme der oralen Medikation möglich. (evtl. schon nach 30 Minuten). Die eventuell notwendige Muskelrelaxation wird im Allgemeinen unter relaxometrischer Kontrolle eingesetzt und wird bei OP-Ende weitgehend abgeklungen sein.

Zu vermeidende Medikamente

Medikamente folgender Gruppen sind bei der Narkose zu vermeiden:

1. Zentrale Dopamin-Antagonisten: (blockieren die Dopaminrezeptoren, verschlechtern die Parkinson-Symptome)

  • Klassische Neuroleptika
  • Reserpin
  • Droperidol (Neurolept-Analgesie)
  • Metoclopramid (gegen Erbrechen wird Domperidon verwendet)

2. Substanzen, die die Herzmuskulatur gegen Katecholamine sensibilisieren:

  • Halothan
  • Zyklopropan

Nach der Narkose

Zur postoperativen Schmerztherapie sind Regionalanästhesieverfahren sehr günstig. Eine Grundanalgesie soll zur Schmerzfreiheit führen.

Bei zusätzlichem Bedarf einer Sedierung (Beruhigung) nach der Operation – wenn überhaupt notwendig – empfiehlt es sich, auf Benzodiazepine zurückzugreifen.

Bei postoperativem Auftreten einer Psychose ist unbedingt ein neurologisches Konsil zu empfehlen (Gabe von so genannten atypischen Neuroleptika).

Sehr wichtig ist die frühzeitige Wiederaufnahme der früheren Antiparkinson-Medikation. Dies ist heute schon sehr schnell möglich, aus anästhesiologischer Sicht schon nach 30-90 Minuten.

Wenn die Unterbrechung nur kurz, nicht länger als 24 Stunden war, kann die bisher verordnete Dosis unverändert eingenommen werden. Voraussetzung ist aber, dass der Patient schlucken kann und – aus operativen Gründen – darf. Leider ist die traditionelle aber nicht notwendige Nahrungs- und Medikamentenpause für 6 Stunden nach der OP immer noch vereinzelt vorzufinden.

Wenn das Schlucken gestört ist und eine Magensonde gelegt wurde, kann man L-Dopa-Präparate aufgelöst durch die Sonde geben. Hier ist zu berücksichtigen, dass die L-Dopa-Wirkung durch die gleichzeitige Gabe von eiweißhaltigen Nährlösungen abgeschwächt werden kann.

Wenn eine orale Medikation noch nicht möglich ist, ist eine Amantadin-Infusionstherapie notwendig, um eine mögliche akinetische Krise zu vermeiden bzw. zu behandeln. Auch in diesem Fall Ist eine Absprache mit dem Neurologen zu empfehlen. Er kann unter Domperidon-Schutz auch eine subkutane (unter die Haut) Apomorphin-Therapie einleiten.

Nach längerem Unterbrechen der oralen Therapie ist die Anfangsdosierung mit dem Neurologen abzustimmen (eventuell die Hälfte der früheren Dosierung einschleichend steigern).

Bei der seltenen akinetischen Krise (Dopamin-Entzugs-Syndrom: hohes Fieber, starker Rigor, totale Akinese, Patient kann nicht schlucken, sprechen) ist unbedingt eine neurologische Mitbetreuung auf der Intensivstation erforderlich.

Wichtig ist nach der Operation die frühzeitige Mobilisierung: Atemübungen, Physiotherapie noch im Bett usw.

Wenn nach einer Operation eine stationäre Rehabilitation notwendig wird, ist es zweckmäßig, die Behandlung in einer solchen Einrichtung durchzuführen, wo auch die Parkinson-Krankheit optimal behandelt werden kann.

Lokalanästhesie (örtliche Betäubung)

Unter der Therapie mit L-Dopa-haltigen Mitteln werden nur Lokalanästhetika ohne Adrenalin-Zusatz verwendet. Für Eingriffe in der Zahnmedizin kann z.B. Mepivacain geeignet sein.

Wichtige Bemerkung

Die oben geschilderten Vorschläge bezüglich der Durchführung der Narkose sind nur zu Ihrer Information gedacht. Die Auswahl der geeigneten Mittel wird von Ihrem Narkose-Arzt getroffen!

Dieser Artikel ist unter Berücksichtigung einer gemeinsamen Broschüre von Dr. Ferenc Fornadi, Gertrudis-Klinik Biskirchen, Parkinson-Zentrum Prof. Dr. Thomas Müller, St. Joseph Krankenhaus, Berlin, Neurologie D. Clemes Sirtl, Ruhr-Universität, Bochum, Anästhesiologie entstanden.

Stand Juli 2011 | Dr. Ferenc Fornadi, Gertrudis-Klinik Biskirchen