Interview mit Prof. Gasser zum Welt-Parkinson-Tag
Der Parkinson-Wissenschaftler Prof. Thomas Gasser über die Vorboten der Krankheit, die Bedeutung der Diagnose für Patienten und Angehörige und mögliche neue Therapieansätze. Der Mediziner leitet die klinische Forschung am DZNE-Standort Tübingen und ist auch Vorstandsvorsitzender des Hertie-Instituts für klinische Hirnforschung.
Herr Gasser, Morbus Parkinson gilt als die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung nach Alzheimer. Es gibt nach Schätzungen 200.000 bis 300.000 Menschen mit Parkinson in Deutschland. Wird die Anzahl der Betroffenen in den nächsten Jahren ansteigen?
Mit einer wachsenden Anzahl an Patienten muss gerechnet werden. Das liegt am demografischen Wandel. Die Lebenserwartung steigt – und Parkinson tritt vor allem im Alter auf.
Wie alt sind Parkinson-Patienten denn im Durchschnitt?
Die große Mehrzahl der Betroffenen ist 60 Jahre oder älter, wenn die Krankheit festgestellt wird. Das ist der Fall, wenn die Krankheit sporadisch, das heißt ohne erkennbaren Auslöser auftritt. Etwa 10 Prozent der Parkinson-Erkrankungen sind allerdings genetisch bedingt, man spricht auch von der familiären oder der erblichen Form. Hier sind Mutationen, also Veränderungen der Erbinformation, Ursache der Erkrankung. Patienten mit familiärer Parkinson sind im Schnitt etwas jünger bei Erkrankungsbeginn: Meist tritt die erbliche Form vor dem 50. Lebensjahr auf.
Namensgeber der Krankheit ist der englische Arzt James Parkinson, auf dessen Geburtstag am 11. April der Welt-Parkinson-Tag fällt. Die Symptome, die er 1817 bei der „Shaking Palsy“, zu Deutsch „Schüttellähmung“ beschrieb, bringen die meisten Menschen wohl mit Parkinson in Verbindung: Zittern, auch Tremor genannt, sowie Bewegungsstörungen. Gibt es andere Symptome, anhand derer eine Parkinson-Erkrankung deutlich wird?
Die Frühphase der Erkrankung unterscheidet sich von dem bekannteren Krankheitsbild im späteren Stadium: Als Frühsymptome können Depressionen, Schlafstörungen, Verstopfung, Störungen des Geruchssinns, eine leisere, monotone Stimme, das fehlende Mitschwingen eines Armes beim Gehen oder Schmerzen im Nacken- und Schulterbereich auftreten. Zu den bekanntesten und im fortgeschrittenen Stadium sichtbar werdenden Symptomen gehören Bewegungsstörungen: Ein vornüber gebeugter Gang, Muskelversteifungen, kleine langsame Schritte, Ruhetremor, Stürze, reduzierte Mimik oder eine kleiner werdende Handschrift.
Wie merken Betroffene, ob sie Parkinson haben oder eine andere Krankheit? Sie könnten ja gerade die Frühsymptome wie gedrückte Stimmung und Schlafstörungen für Auswirkungen einer Depression halten oder Verstopfung und Nackenschmerzen für Folgen von ungesunder Ernährung und zu wenig Bewegung.
Ich empfehle, so frühzeitig wie möglich den Hausarzt oder Neurologen aufzusuchen und die Beschwerden zu schildern. Die Patienten sollten bisherige Befunde, auch von anderen Ärzten, mitbringen und eine Liste sämtlicher Medikamente, die sie einnehmen. Informationen zu neurologischen Erkrankungen in der Familie sind sehr hilfreich. Wenn eine Begleitperson mitkommt, die den Patienten gut kennt, kann der Arzt diese nach Verhalten, Stimmung, Stimme oder Beweglichkeit des Patienten fragen. Bei den Frühsymptomen ist gerade der Hinweis auf Schlafstörungen hilfreich, da im Frühstadium von Parkinson der Traumschlaf gestört sein kann und die Patienten dadurch im Schlaf schreien, um sich schlagen und treten. Das fällt vor allem Partnern von Patienten schmerzhaft auf, weil sie bisweilen dadurch verletzt werden.
Ab wann und wie kann denn eine Parkinson-Erkrankung diagnostiziert werden?
Die motorischen Symptome sind ein wichtiges Kriterium für die Diagnose. Mit Hilfe von bildgebenden Verfahren wie Magnetresonanz-Tomographie oder Computer-Tomographie können andere Krankheiten ausgeschlossen werden. Ob eine genetische Ursache der Parkinson-Erkrankung besteht, lässt sich dann durch Gensequenzierung herausfinden. Dabei handelt es sich um eine molekularbiologische Laboranalyse, bei der eine Blutprobe oder ein Abstrich der Mundschleimhaut des Patienten untersucht wird. Durch diese Untersuchung können wir das genetische Material des Patienten – also dessen Erbgut ─ entziffern und Genmutationen entdecken, die familiäre Parkinson verursachen. Falls bereits vor dem Auftreten von motorischen Symptomen ein dringender Verdacht auf Parkinson besteht, weil es eine positive Familienanamnese gibt, also bei Verwandten des Patienten die Erkrankung auftritt, kann auch ein sogenannter DAT-Scan durchgeführt werden. Das ist eine nuklearmedizinische Untersuchung, um Störungen im Stoffwechsel des Hirnbotenstoffes Dopamin festzustellen.
Wenn die Diagnose steht: Wie reagieren Patienten?
Die Diagnose ist für viele Patienten und deren Angehörige erstmal erschreckend. Danach sind sie aber eher erleichtert, da sie nun die Ursachen ihrer Beschwerden kennen. Denn durch die Symptome hatten die Patienten – und damit indirekt auch deren Angehörige – ja eine Einschränkung in der Lebensqualität. Die Chancen stehen heutzutage sehr gut, die Symptome gut behandeln zu können. Das ist umso mehr ein Grund, Symptome frühzeitig abklären zu lassen. Je früher und konsequenter mit einer Therapie begonnen wird, desto besser: Das erhöht die Lebensqualität und hilft, den Alltag besser zu bestreiten.
Welche Therapiemöglichkeiten gibt es denn?
Bisher kann man den Ausbruch von Parkinson nicht verhindern. Aber die Symptome können wir medikamentös behandeln: Seit vielen Jahren setzt man bei allen Parkinson-Formen den Wirkstoff L-Dopa ein, um die Dopaminkonzentration im Hirnstamm zu erhöhen. Damit soll der Dopaminmangel ausgeglichen werden, der bei Parkinson aufgrund des Verlustes von Dopamin-produzierenden Nervenzellen in der sogenannten Substantia Nigra auftritt. Diese „Schwarze Substanz“ ist eine kleine, dunkelfarbige Ansammlung von etwa 400.000 Nervenzellen. Hier wird bei gesunden Menschen Dopamin gebildet, ein Botenstoff, der eine wichtige Rolle für Bewegungen und Koordination spielt. Bei Parkinson-Betroffenen ist die Substantia Nigra geschädigt, sodass ihnen Dopamin fehlt, was dann zu den Parkinson-typischen Bewegungsstörungen führt. Bei genetischen Formen der Erkrankung wird eine zusätzliche Form der Therapie erforscht. Man untersucht in klinischen Studien, ob sich die Folgen des Gendefekts direkt korrigieren oder abmildern lassen. Dadurch könnte eventuell das Fortschreiten der Krankheit selbst verlangsamt oder ihr Beginn hinausgeschoben werden. Dafür gibt es verschiedene Ansätze, zum Beispiel wird daran gearbeitet, gentechnisch modifizierte Virusteilchen zu verabreichen, die die Dopaminzellen schützen und die Dopaminausschüttung steigern sollen. Das liegt noch in der Zukunft, wir wissen aber heute schon, dass auch Sport, Physio- und Ergotherapie, Logopädie und Entspannungsübungen helfen, die Mobilität so lange wie möglich zu erhalten.
Woran wird am DZNE zu Parkinson geforscht?
Wir untersuchen die Krankheitsmechanismen auf molekularer Ebene. Hinzu kommen klinische Studien. Was die genetische Parkinson-Erkrankung betrifft, fokussieren wir uns am DZNE auf Mutationen des sogenannten GBA-Gens. Das ist – innerhalb der genetischen Parkinson-Erkrankung – eine der häufigsten Genmutationen: Diese erforschen wir an nahezu allen DZNE-Standorten in der MIGAP-Studie. Im Rahmen dieser Studie werden insgesamt 400 Studienteilnehmer mit und ohne Parkinson im Alter von 40 bis 90 Jahren untersucht, wobei beiden Gruppen Menschen mit und ohne GBA-Genmutation angehören. Unser Ziel ist eine umfassende Charakterisierung von GBA-assoziiertem Parkinson hinsichtlich motorischer und nicht-motorischer Symptome. Zudem wollen wir spezifische Biomarker in Blut, Nervenwasser und Zellmodellen identifizieren, die auf GBA-assoziiertes Parkinson hinweisen. Denn was die Wissenschaft noch nicht weiß: Nicht alle Träger einer Genmutation, die Parkinson auslösen kann, erkranken auch daran. Woran liegt das? Wir möchten herausfinden, welche Genträger eine Parkinson-Erkrankung entwickeln werden und wer gesund bleibt.
Wie lässt sich diese Forschung in zukünftige neue Behandlungsansätze transferieren?
Wir haben unter den Studienteilnehmern von MIGAP Untergruppen gebildet und die Stoffwechselvorgänge miteinander verglichen. Dabei haben wir durch den Vergleich von sporadischen und genetischen Parkinson-Formen entdeckt, dass bestimmte Stoffwechselwege, die durch Genmutationen gestört werden, auch bei Patienten mit sporadischem Parkinson gestört sind. Ein nächster Schritt wird sein, Biomarker zu vergleichen – unsere Hoffnung ist, dass auch die sich bei sporadischen und genetischen Formen der Erkrankung ähneln. Das würde bedeuten, dass auch bei sporadischem Parkinson bestimmte Biomarker die Erkrankung anzeigen würden. Für zukünftige Therapieansätze könnte das heißen, dass man noch vor Auftreten der ersten motorischen Symptome therapeutisch tätig werden könnte, sofern entsprechende Biomarker auffällig sind. Damit gäbe es die Chance, den Ausbruch der Krankheit zu verzögern oder vielleicht sogar zu verhindern.
April 2020 / Das Interview führte Dr. Christine Knust.