Die Wahrheit muss ans Licht | Artikel von Hilke Lorenz aus der Stuttgarter Zeitung vom 9. September 2021
Jahrzehntelang hat Wieland Backes den Gästen im „Nachtcafé“ Geheimnisse entlockt. Nun enthüllt er selbst eines: das seiner Krankheit. Stuttgart. Schüchtern? Eher nein. Nachdenklich? Das schon. Freundlich? Ja. Und ein aufmerksamer Gastgeber. Das auf alle Fälle. Nicht nur in 28 Jahren „Nachtcafé“ oder beim SWR-Quiz „Ich trage einen großen Namen“, sondern auch im eigenen Garten in Stuttgart. Der Tisch ist liebevoll gedeckt. Weißes Porzellan auf zart gemustertem Tischtuch. Wasserkaraffe. Die 17-jährige Tochter hat als Reminiszenz an den gerade zu Ende gegangenen Schwedenurlaub Zimtschnecken gebacken, vegane. Auf dem Tisch steht eine rosafarbene Gartenrose.
Wieland Backes trägt einen dunklen Anzug. Zwischen der Zeit, in der er nach eigenen Worten ein schüchternes Kind von Land war– so auch der Buchtitel seiner demnächst erscheinenden Memoiren – und der Gegenwart liegen fast sieben Jahrzehnte. Am 10. September wird der Fernseh- und Gartengastgeber 75 Jahre alt. Aber um seinen Geburtstag geht es jetzt gar nicht.
Backes will erstmals öffentlich darüber sprechen, worüber es, er vermutet es, bereits Gerüchte gebe. Er will die Hoheit über sein Leben behalten. Deshalb geht er nun in die Offensive und ahnt insgeheim, dass dann vorübergehend das passieren könnte, was er eigentlich verhindern möchte: „Ich will nicht auf die Krankheit reduziert werden.“
Die Diagnose kam schon 2013
Die Krankheit heißt Parkinson. Eine Nervenkrankheit, deren Verlauf sich durch Medikamente beeinflussen, nicht heilen lässt. Das selbstbestimmte Outing, auch wenn es um derart Betrübliches geht, passt zu dem Mann, der sich als Macher bezeichnet. Der es zeitlebens genossen hat, „morgens unter der Dusche eine Idee zu haben, die zu einem Projekt wird, das irgendwann 100 Leute beschäftigt“. Neuland zu betreten und das Fernsehen neu zu erfinden, „das hat mich immer gereizt“. Neuland betritt er auch jetzt. Mutig ist das. Den Parkinson begreift er als eine Facette seiner Person. Mehr Raum soll nicht sein. Er wird mit seinem Buch natürlich auf Lesereise gehen, wie Autoren das tun.
Schon im November 2013 hat Wieland Backes die Diagnose bekommen. Wegen Kopfschmerzen war er zum Arzt gegangen. Die Schmerzen hatten am Ende gar nichts mit der Krankheit zu tun. Aber dem Arzt, der ihn, als er noch gar nicht sein Patient war, beim Joggen am Bärensee gesehen hatte, kamen die Bewegungen des Joggers schon bei dieser Zufallsbegegnung verdächtig vor. Er stellte die Diagnose in einem frühen Stadium. Da moderierte Wieland Backes noch im SWR-Fernsehen, bildete Moderatorennachwuchs aus und war mehr als heute dem Blick der Öffentlichkeit ausgesetzt.
In reduzierter Form ist er das immer noch, auch wenn die Zeit als Gastschauspieler bei der Württembergischen Landesbühne Esslingen und als Kopf der Stuttgarter Initiative Aufbruch vorbei ist. Wo Backes erscheint, wird er dennoch erkannt – und genau beäugt. Er hadert damit nicht. „Das ist der Preis der Popularität.“ Wenn man nicht erkannt wird, sei es auch wieder nicht recht, schreibt er in seinem Buch. Man hört ihn das beim Lesen in Gedanken förmlich laut sagen. Mit seinem leichten schwäbischen Akzent, langsam und mit feiner Selbstironie. Nur, dass der Preis in Lebensphasen wie dieser vielleicht doch ein bisschen höher ist.
Lange wussten nur seine Frau und sein Arzt Bescheid. Erst ein paar Jahre später weihte der dreifache Vater seine Kinder ein. Und irgendwann die Menschen, die ihm nahestehen. „Als Medienmensch muss man den Punkt erkennen, an dem man an die Öffentlichkeit gehen muss“, sagt er nüchtern. Jetzt also. So will er es. So hat er es mit seiner Familie besprochen. Es ist an der Zeit, dass der Mann, der seinen Gästen über Jahrzehnte kleine und große Geheimnisse entlockt hat, selbst sein Geheimnis preisgibt. Auch wenn es für ihn selbst längst den Status der Selbstverständlichkeit und des Unspektakulären eingenommen hat. Nächste Woche wird er zum erstem Mal als Gast im „Nachtcafé“ sitzen. Thema: „Die Wahrheit muss ans Licht“.
Gefestigt im Umgang mit der Krankheit sei er. Er wirkt nicht, als müsse er sich zu diesem gelassenen Blick auf seine Situation zwingen. „Mir geht es gut“, sagt er, während er – besorgt um das leibliche Wohl seines Gegenübers – Zimtschnecken und Häppchen mit Frischkäse anbietet. Der Tremor, das Zittern also, gehöre bei seiner Ausprägung der Krankheit nicht zu den äußeren Kennzeichen. Dafür eine manchmal starr wirkende Mimik und nach körperlicher Beanspruchung Schmerzen wie bei einem schweren Muskelkater durch die krankheitsbedingte Muskelverhärtung.
Ändert das seinen Blick aufs Älterwerden? „Ich denke nicht daran, mir von der Krankheit das Leben verderben zu lassen. Man reagiert auf die Situation, wenn sie da ist“, sagt er nüchtern. Aus dem Joggen ist Walken geworden. „Jeder, der nicht Parkinson hat, ist im Alter ja auch permanent gefährdet. Bei mir ist es halt der Parkinson.“ Das Leben und auch der Alltag gehen weiter. Bettina Backes, seine Frau, ist als Anwältin voll berufstätig. Wieland Backes ist der Koch in der Familie, seit er Zeit dafür hat. Bei den Backes weht die Flagge nicht auf halbmast.
Das schüchterne Kind vom Land
Als im März letzten Jahres der Lockdown begann, saß der 73-Jährige eines Nachmittags vor seinem Computer und fing an zu schreiben. Er schrieb von den Wurzeln, die ihn ein Leben lang prägten, dem Leben mit SDR und später SWR. Und auch darüber, wie wichtig ein öffentlich-rechtlicher Sender für die Demokratie sei. Dass daraus ein Buch werden könnte, wusste er zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Vielleicht hoffte er es. Eine Art Bilanz seines Lebens sollte es sein und eine Erzählung davon, was aus dem schüchternen Kind vom Land geworden ist.
Als Nachzüglerkind einer banatschwäbischen Flüchtlingsfamilie, in Österreich 1946 geboren, ist Backes in dem kleinen Weiler Mittelbrüden in der Nähe von Backnang aufgewachsen. Als Jüngster begreift er sich auch als Glückskind. Er war das Nachkriegs- und Friedenskind in der Lehrerfamilie, in der es schon vier Buben gab. „Meinen Brüdern hat der Krieg alles verhagelt.“ Schule, Träume und Hoffnungen. „Vielleicht war ich auch ein bisschen der Friedensengel“, überlegt er. Geboren im Frieden, mit zehn Jahren Abstand zum nächstälteren Bruder, galt er in der Familie als der Ausgleichende. Einer, der die Sachen wieder ins Lot brachte. Ein Fall von früher Prägung? Unbedingt. Wieland Backes ist überzeugt, in dieser Rolle viel gelernt zu haben für das, was er später im Fernsehen perfektionierte: das Verstehenwollen und Zuhören. Das Handwerkszeug eines guten Moderators – neben der nötigen Inspiration.
Die Gäste sollten sich gut aufgehoben fühlen bei ihm. Prominente und Fernsehunerfahrene gleichermaßen. Denn wie es sich anfühlt, nicht recht dazuzugehören, das erlebt er selbst schon früh als Kind. Im Gymnasium in Backnang ist er als Dorfjunge, als Vertriebenensprössling zunächst überhaupt nicht angesehen bei den Stadtkindern. Aber als seine Mitschüler einen Mickey-Maus-Club gründen, wählen sie ihn – aus für ihn unerklärlichen Gründen – zum Vorsitzenden. „Das war die Wende.“
Beim SDR, wo er 1973 als Praktikant anfing, schafft er es, den Fernsehdirektor davon zu überzeugen, einen Film zu seiner Doktorarbeit als Student der Chemie und Geografie drehen zu dürfen. Als er später als freier Mitarbeiter das Angebot bekommt, Moderator zu werden, schwenkt er um. Aus dem Jungfilmemacher wird ein Frager und Zuhörer, zu dessen Stil es gehört, sein Gegenüber nicht forsch anzupacken, mit seiner subtilen Art nachzuhaken, aber Spannendes zutagezufördern. Die Anerkennung „durch alle Bildungsschichten“ tut ihm noch immer gut.
Am Abend wird er Fleischküchle mit Rosmarinkartoffeln kochen. In einem Haushalt mit Veganerin braucht es da Vermittlerqualitäten. Moderator bleibt man ein Leben lang.
Wieland Backes: Ich war ein schüchternes Kind vom Lande | Sonntag, 19.09.21 / 11.00 Uhr
5-6 Minuten
Sonntag, 19.09.21 / 11.00 Uhr
Ich war ein schüchternes Kind vom Lande
„Ich war ein schüchternes Kind vom Lande“ – so lautet der Titel der Autobiografie, die rechtzeitig zu seinem 75. Geburtstag erscheint. Als Außenseiter bahnte sich Wieland Backes seinen Weg als Dokumentarfilmer, Fernsehjournalist und Moderator und wurde in der Folge zum Star des SWR. Mit seiner Talkshow „Nachtcafé“ und der Ratesendung „Ich trage einen großen Namen“ war er fast 30 Jahre lang auf Sendung und schrieb damit deutsche Fernsehgeschichte. In seinem Buch erzählt er nun von seinem Lebensweg – und von seinem Engagement für Inhalt und Anspruch in einer sich wandelnden Medienwelt. Ins Gespräch gebracht wird der Mitbegründer des Stuttgarter Literaturhauses vom Kabarettisten und Fernsehmoderator Harald Schmidt.
In Kooperation mit dem Evangelischen Bildungszentrum Hospitalhof
- Lesung und Gespräch
- Harald Schmidt (Moderation)
- Außer Haus! Hospitalhof / Büchsenstraße 33, 70174 Stuttgart
- Eintritt (Euro): Saalticket 12,- /10,- /6,- oder Livestreamticket 6,-
- Kartenvorverkauf ab Montag 23.8./12 Uhr nur online auf www.literaturhaus-stuttgart.de oder www.reservix.de und ab 8.9. in der Buchhandlung im Literaturhaus (Mo-Fr 12-18 Uhr).Keine ABENDKASSE!Für Saaltickets gilt: Je nach am Veranstaltungstag geltenden Öffnungsregeln der Stadt Stuttgart und der Corona-Verordnung des Landes Baden-Württemberg ist gegebenenfalls ein Nachweis (Geimpft, Genesen, Getestet) vorzulegen. Check-In nur mit Kontaktnachverfolgung und Maskenpflicht im Literaturhaus.Für Livestreamtickets gilt: Der vierstellige Zugangscode, den Sie von Reservix per PDF erhalten, ist 72 Stunden lang gültig und wird in folgendem Link eingegeben:https://streaming.reservix.io/e1711420
Quelle: https://www.literaturhaus-stuttgart.de/event/ich-war-ein-schuechternes-kind-vom-lande-5024.html