Mitochondrien im Fokus
Welche erblichen Faktoren spielen eine Rolle bei der Parkinson-Erkrankung?
Neben der häufigeren „idiopathischen Parkinson-Erkrankung“, also einer Parkinson-Erkrankung ohne bekannte Ursache, gibt es eine Reihe meist sehr seltener monogener Parkinson-Erkrankungen (Abb. 1. A). Diese Formen der Erkrankung werden durch Veränderungen in einem einzelnen Gen verursacht. Ein Gen ist eine Einheit des Erbmaterials (DNA: Desoxyribonukleinsäure), welche die Information für den Aufbau der Eiweiße enthält. Eine erbliche Erkrankung kann entweder dominant oder rezessiv vererbt werden, wobei bei rezessiven Erkrankungen beide Kopien des Gens von einer Veränderung (Mutation) betroffen sein müssen, damit es zum Ausbruch der Erkrankung kommt.
Wodurch sind rezessive Parkinson-Erkrankungen gekennzeichnet?
Der vorliegende Artikel konzentriert sich vor allem auf die rezessiv vererbten monogenen Parkinson-Formen. Die bekanntesten rezessiven Parkinson-Erkrankungen werden durch Veränderungen im Parkin-, PINK1oder DJ-1 Gen verursacht. Patienten mit Mutationen in einem dieser Gene erkranken in der Regel ca. 20 Jahre früher als Patienten mit idiopathischer Parkinson-Erkrankung, d. h. im Mittel bereits in der vierten Lebensdekade, oft sogar schon früher. Die Spanne ist jedoch breit und reicht in sehr seltenen Fällen vom Beginn im Jugendalter bis ins spätere Erwachsenenalter.
Klinisch zeigen die Patienten die typischen Zeichen eines Ruhetremors, einer Bewegungsverlangsamung (Bradykinese), einer Muskelsteifigkeit (Rigor) und eine Störung der Haltungskontrolle. Sie unterscheiden sich darin klinisch praktisch nicht von Patienten mit idiopathischer Parkinson-Erkrankung. Allerdings ist der Krankheitsverlauf häufig langsamer und das Ansprechen auf Medikamente insgesamt besser und langfristiger.
Ein weiterer Unterschied zur idiopathischen ParkinsonErkrankung besteht darin, dass die Patienten nicht selten auch zu Beginn der Erkrankung unwillkürliche Muskelverkrampfungen, sogenannte Dystonien, entwickeln. Weiterhin wurde gezeigt, dass das Auftreten von Demenz bei Patienten mit Parkin-Mutationen nicht häufiger zu sein scheint als bei der Allgemeinbevölkerung.
Eine wichtige weitere Gemeinsamkeit der drei genannten rezessiven Parkinson-Formen liegt darin, dass ihnen gemeinsame Prozesse zur Krankheitsentstehung zugrunde liegen, die die Mitochondrien und den Energiestoffwechsel der Nervenzellen betreffen.
Was sind Mitochondrien – und welche Bedeutung haben sie bei Parkinson?
Jede Körperzelle enthält sogenannte „Organellen“, die Organe der Zellen. Eine Gruppe dieser Organellen sind die Mitochondrien. Sie werden oft als „Kraftwerke“ der Zelle bezeichnet, da sie für ihre Energieversorgung wichtig sind. Unser Körper kann Energie in Form des „Adenosintriphosphat“ (ATP) speichern, ein Molekül, das drei („tri“) Phosphatgruppen beinhaltet. Wenn eine Phosphatgruppe des ATP abgespaltet wird, entsteht das „Adenosindiphosphat“ (ADP) und Energie wird frei.
Aufgabe der Mitochondrien ist es, aus ADP wieder ATP zu erstellen. Dies geschieht mithilfe von sechs verschiedenen Enzymen (Eiweißstoffen), die in der sogenannten „Atmungskette“ miteinander verknüpft sind. So sorgen die Mitochondrien für eine stabile Energieversorgung.
Schon seit den 1980er-Jahren gab es Hinweise dafür, dass Mitochondrien eine wichtige Rolle für die Entstehung der Parkinson-Erkrankung spielen. Inzwischen ist erwiesen, dass Mutationen im Parkinund PINK1-Gen mit ganz spezifischen Veränderungen an den Mitochondrien einhergehen. Beide Gene kodieren für Eiweißstoffe, die den „Lebensweg“ der Mitochondrien mitbestimmen, also sowohl an der Bildung neuer Mitochondrien als auch an der Aussortierung nicht mehr funktionsfähiger Mitochondrien3 beteiligt sind.
Ohne funktionierende Energieversorgung gehen die betroffenen Zellen zugrunde. Besonders schwer trifft dieses Problem Zellen mit hohem Energiebedarf – und besonders bedeutsam für die Funktionsfähigkeit von Organen des menschlichen Körpers ist dieser Untergang von Zellen bei Geweben, die sich nicht oder kaum erneuern, also von denen keine neuen Zellen gebildet werden können. Beides trifft auf die Nervenzellen im Gehirn zu, woraus sich ein Erklärungsansatz ableitet, warum die Störung der mitochondrialen Funktion, die ja eigentlich den ganzen Körper betrifft, gerade beim Gehirn zur Erkrankung führt. Auf diesen Beobachtungen beruht nun auch die Idee, über eine Verbesserung der mitochondrialen Funktion den Verlauf von Parkinund PINK1-assoziierten Parkinson-Erkrankungen günstig beeinflussen zu können. Dies betrifft jedoch nur relativ wenige Patienten mit diesen seltenen Mutationen, weswegen zusätzlich genetische Risikofaktoren mit Einfluss auf die Funktion von Mitochondrien von Interesse sind.
Was sind „Mitochondriale Enhancer“?
„Mitochondriale Enhancer“ sind Stoffe, die die Leistungsfähigkeit von Mitochondrien steigern. Dies tun sie in der Regel, indem sie an einem der sechs Enzyme der sogenannten„Atmungskette“ ansetzen und die Bedingungen für deren Arbeit verbessern, z.B. helfen, benötigte Teilchen (Elektronen) zu transportieren. Zwei sehr interessante Stoffe aus dieser Gruppe sind das Coenzym Q104 und das Vitamin K2. Beide sind als Nahrungsergänzungsmittel bekannt; für eine nachweisbare Wirkung auf die Mitochondrien werden jedoch sehr viel höhere Dosen benötigt als in gängigen Nahrungsergänzungsmitteln vorhanden.
Mit Coenzym Q10 wurden bereits mehrfach klinische Studien bei Parkinson-Patienten durchgeführt, die aber nur teilweise erfolgreich waren. In der Zusammenschau dieser bisherigen Studien lässt sich eine positive Wirkung von Coenzym Q10 nicht sicher nachweisen.
Für Vitamin K2 liegen noch keine Daten zur Wirksamkeit bei der ParkinsonErkrankung vor. Die Verträglichkeit aber konnte bereits in einer Studie mit an Parkinson erkrankten Frauen und in mehreren Studien bei anderen Erkrankungen gezeigt werden.
MitoPD: Eine klinische Studie zum gezielten Einsatz von Coenzym Q10 und Vitamin K2
MitoPD ist eine gemeinsame Studie der Universitäten Tübingen, Luxemburg, München und Lübeck. Diese Studie wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und befasst sich mit der Rolle von Mitochondrien bei monogenen und idiopathischen Parkinson-Erkrankungen in verschiedenen Projekten aus der klinischen wie der Grundlagenforschung.
Ein besonderer Teil dieses Projektes ist eine klinische Studie mit Coenzym Q10 und Vitamin K2, die in Lübeck und Tübingen durchgeführt wird. Die Grundannahme dieser Studie ist, dass Coenzym Q10 und Vitamin K2 die Symptome und Zeichen der Parkinson-Erkrankung günstig beeinflussen können, wenn Fehlfunktionen der Mitochondrien einer der Auslöser der Erkrankung sind. Dies ist nicht bei allen Parkinson-Erkrankungen der Fall, daher müssen die Teilnehmer sorgfältig charakterisiert und ausgewählt werden. Unser neuer Ansatz beinhaltet, die Teilnehmer nach genetischen Gesichtspunkten den Studiengruppen zuzuordnen. In der Gruppe der Personen mit sicherer mitochondrialer Beteiligung sind Träger von Parkinoder PINK1-Mutationen. Aus der Gruppe von Patienten mit idiopathischer Parkinson-Erkrankung werden Teilnehmer anhand eines komplexeren genetischen Profils ausgewählt. Hierfür werden bekannte
Veränderungen im Genom genutzt,6 die mit dem ParkinsonRisiko in Zusammenhang stehen (Abb. 1. B). Für diese Veränderungen wurde anhand der Literatur und Datenbanken eruiert, ob sie einen Einfluss auf die Mitochondrien haben und mit diesen Informationen dann das genetische Profil erstellt. Diese Studie nutzt also den Ansatz der personalisierten Medizin, indem individuelle genetische Daten für die Entscheidung, ein spezifisches Medikament einzusetzen, genutzt werden.
Die klinische Studie ist eine sogenannte „Proof-of-Concept“Studie. Hierunter versteht man eine kleine Studie, die zunächst prüft, ob das Konzept tragfähig ist. Im Erfolgsfalle folgen dann größere Studien, um den Effekt der Studienmedikation nachzuweisen. Untersucht werden vier Studiengruppen: Patienten mit zwei Mutationen im Parkinoder PINK1-Gen, Patienten mit einer Mutation in einem dieser beiden Gene, Patienten mit einem genetischen „mitochondrialen“ Profil (s.o.) und solche ohne genetisch bedingte mitochondriale Beeinträchtigung (Abb. 2).
Wie die meisten klinischen Studien arbeitet auch unsere Studie mit dem eigentlichen Studienmedikament („Verum“) und einem Placebo, um die Wirkungen von Verum und Placebo direkt vergleichen zu können (Abb. 3).
Möglicherweise sind Coenzym Q10 und / oder Vitamin K2 auch geeignet, den Krankheitsverlauf bei der idiopathischen Parkinson-Erkrankung zu verlangsamen. Aus Laborexperimenten gibt es dafür erste Hinweise. Zusätzlich sind beide Substanzen, Coenzym Q10 und Vitamin K2, risikound nebenwirkungsarm und könnten daher auch breiteren Einsatz finden.
Wenn unsere Einteilung der Patienten nach mitochondrialem Profil erfolgreich ist, könnten wir mit dieser Untergruppe größere und vor allem längere Studien durchführen, um gezielt den Erkrankungsverlauf zu untersuchen.
Als Fernziel wäre es sogar vorstellbar, gesunden Personen mit erhöhtem Risiko für die Erkrankung diese Medikamente anzubieten, in der Hoffnung, den Erkrankungsausbruch hinauszuzögern oder gar zu verhindern. n
Autorinnen: Prof. Dr. Meike Kasten und Prof. Dr. Christine Klein
Referenzen
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Quelle: https://neurologie.uni-bonn.de/dateien/dateien/dpv139genetik.pdf