Als vor ca. einem halben Jahrhundert die L-Dopa-Therapie der Parkinson-Krankheit allgemein eingeführt wurde, dachten die damals tätigen Ärzte, dass nach der wundersamen Besserung der Symptome die Krankheit besiegt würde. Man zog Vergleiche mit der Insulin-Behandlung der Zuckerkrankheit, auch in diesem Falle wird ein fehlender körpereigener Stoff von außen zugeführt, ersetzt, mit anderen Worten substituiert. Nach einigen Jahren dieser leider überzogenen Hoffnung traten aber Probleme in der Langzeitbehandlung auf: die Schwankungen der Wirkung (motorische Fluktuationen) und die unwillkürlichen Überbewegungen (Dyskinesien).
Die sehr gute symptomatische Wirkung der L-Dopa-Therapie, aber auch die Entstehung dieser die Langzeittherapie erschwerenden „Nebenwirkungen“, die besser als Spätkomplikationen bezeichnet werden sollten, wurde in einem fesselnden Film („Zeit des Erwachens“ mit Robert de Niro) dargestellt.
Die ersten 3-7 Jahre der L-Dopa-Therapie verlaufen im Allgemeinen sehr positiv. In dieser ersten „kompensierten“ Krankheitsphase, die auch als „Honeymoon-Periode“ (honeymoon = Flitterwochen) genannt wird, werden die Symptome weitgehend unterdrückt.
Leider kann aber auch die heutige medikamentöse Kombinationstherapie der Parkinson-Krankheit das Fortschreiten der Degeneration (Absterben) der Dopamin-Zellen in der Schwarzen Substanz nicht aufhalten. Wir wissen inzwischen, dass beim Auftreten der ersten körperlichen Symptome schon mehr als die Hälfte dieser Zellen nicht mehr funktioniert. Einige Autoren sprechen sogar über 80 %.
Bei weiterem Zellschwund in der Schwarzen Substanz erreichen viele Patienten nach einem sehr individuellen Zeitraum die so genannte „dekompensierte“ Krankheitsphase, wo die genannten Spätkomplikationen auftreten. Ursache dieser Komplikationen ist nach aller Wahrscheinlichkeit die fehlende Dopamin-Speicherung der Nervenzellen der Schwarzen Substanz. Die Dopamin-Produktion aus L-Dopa kann auch in anderen Zellen (sog. Stützzellen) weiterlaufen, diese können aber das Dopamin nicht speichern.
Unter normalen Umständen wird das Dopamin in den Zellen der Schwarzen Substanz gebildet, in den Speicherbläschen dieser Zellen gespeichert, bei Bedarf freigesetzt und wieder aufgenommen. Die Schwarze Substanz hat also eine ausgleichende, sog. Pufferfunktion. Beim Ausfall dieser Funktion ist die Wirkung von L-Dopa, seiner Halbwertzeit entsprechend, sehr kurz. Nach dem Abklingen der Wirkung (ca. 2-3 Stunden) entstehen Wirkungslücken (vorhersehbare, einzeldosisabhängige End-of-dose-Erscheinungen, die auch als wearing-off-effect bezeichnet werden (Ende der Dosis, Abfallende Wirkung).
In der weiteren Folge, vielleicht als Reaktion auf die nicht gleichmäßige, schwankende Reizung der Dopamin-Rezeptoren im sog. Streifenkörper durch Dopamin, verändern sich auch diese Rezeptoren (die Dopamin-Aufnehmer). Einerseits reagieren sie auch auf die unbedingt notwendige Dopamin-Menge mit Überreaktion (unwillkürliche Bewegungen), andererseits können sie unerwartet für kurze Zeit die Empfindlichkeit gegenüber Dopamin verlieren (nicht vorhersehbare Fluktuationen: random-off, on-off-Perioden). Diese unwillkürlichen Überbewegungen (Dyskinesien, Hyperkinesien) waren bei der unbehandelten Parkinson-Krankheit nicht vorhanden, sie sind typisch für einen andere Erkrankung des Nervensystems, für die Chorea (Veitstanz). Deswegen werden Sie auch als „medikamentöse Chorea“ bezeichnet.
Diese geschilderten Komplikationen sind genauer genommen also keine Nebenwirkungen der L-Dopa-Therapie, sondern Folgeerscheinungen der fortschreitenden Krankheit. In wissenschaftlichen Kreisen wurde aber lebhaft diskutiert, ob eine langfristige L-Dopa-Behandlung den Untergang der Dopamin-Zellen begünstigen und dadurch das Fortschreiten der Erkrankung beschleunigen könnte. Obwohl dafür bis heute kein Beweis erbracht wurde, hat diese Diskussion leider auch zur Verunsicherung einiger Parkinson-Patienten geführt. Diese lehnen dann auch die mit der Zeit unbedingt notwendig gewordene L-Dopa-Behandlung aus Angst vor dem ungünstigeren Verlauf ab und verschenken dadurch die Lebensqualität und eventuell auch die Lebenserwartung (L-Dopa-Phobie).
Die Befunde, die eventuell für eine Toxizität von L-Dopa sprechen könnten, wurden bisher nur in Zellkulturen bei extrem hoher Dosierung erhoben. Die klinischen Untersuchungen mit üblichen Dosierungen sprechen eher gegen die Toxizität. In Rattengehirnen konnten sogar schützende (neuroprotektive) Effekte von L-Dopa beobachtet werden.
Andererseits wurde in Langzeitstudien beobachtet, dass biologisch jüngere Patienten unter L-Dopa früher als die Älteren motorische Spätkomplikationen entwickeln können. Die Hinauszögerung der L-Dopa-Therapie um einige Jahre unter gleichzeitiger Dopamin-Agonisten-Behandlung kann in dieser Altersgruppe zu einem späteren Auftreten von Überbewegungen führen. Wenn wir auch die in DaTSCAN-SPECT- und Flurodopa-PET-Untersuchungen nachgewiesenen (leider nur geringfügigen) neuroprotektiven Wirkungen von einigen Dopamin-Agonisten berücksichtigen, ist die aktuelle Empfehlung, bei biologisch jüngeren Patienten ohne schwerwiegende Begleitkrankheiten (unter 70 Jahren) die L-Dopa-Gabe mindestens um einige Jahre hinauszuzögern, gut nachvollziehbar.
Diese Empfehlung ist auch Teil unserer aktuellen Behandlungsstrategie: Therapie heute – für die Zukunft. Diese Strategie beinhaltet auch die maßgeschneiderte, individuelle Behandlung der Patienten, die frühzeitige, individuelle Anfangstherapie, die Vermeidung der Überdosierung und die Verwendung der zur Verfügung stehenden neuroprotektiven Möglichkeiten (Dopamin-Agonisten, MAO-B-Hemmer). Wichtigstes Ziel dieser Strategie ist die möglichst lange Hinauszögerung, im günstigsten Falle die Vorbeugung der Spätkomplikationen der Therapie (Prophylaxe).Die Forschung arbeitet inzwischen intensiv an weiteren Möglichkeiten der Verlangsamung der Krankheitsprogredienz (neuroprotektive Ansätze) und an der Wiederherstellung neuronaler Strukturen (neurorestaurative Therapien).
Stand Januar 2013 | Dr. Ferenc Fornadi, Gertrudis-Klinik Biskirchen