Von Dipl.-Psych. Jeannette Overbeck
In der Jugend herrscht das Empfinden vor, nie krank werden zu können. Es vermittelt ein sicheres Gefühl im Alltag. Die Diagnose einer chronisch progredienten, neurodegenerativen Erkrankung, wie es das idiopathische Parkinson-Syndrom darstellt, verändert dieses Sicherheitsgefühl. Dabei ändert das Leben mit Parkinson den Alltag sowohl für die Betroffenen als auch für deren Angehörige. Bei der Bewältigung der Krankheit treten Körper und Seele in ein prozesshaftes Geschehen ein, das eine beständige Anpassung an die sich verändernde Situation erfordert.
Häufig treten zwei konkurrierende Prozesse auf. Zum einen handelt es sich um einen Abwehrprozess. Diesem Vorgang wohnt im Alltag eine negative Bewertung inne, als wolle jemand sich vor der Krankheitsbewältigung drücken. Dabei ist dieser unbewusste seelische Vorgang ein Schutzmechanismus vor Überforderung durch Gefühle der Angst, Panik, Verunsicherung, Wut, Hilflosigkeit und Resignation, indem er die Krankheit einer Bearbeitung nicht mehr zugänglich macht. Zum anderen setzen aktive, lösungsorientierte Bewältigungsbemühungen ein. Beide Mechanismen sind in ihrem Rahmen überlebenswichtig und funktional (Zittlau, 2019).
Die Erkrankten erleben nicht nur körperliche Veränderungen, wie z. B. Bradykinese, Rigor, Ruhetremor, posturale Instabilität, Schmerzen, Störungen von Blutdruck, Schlaf, Blasen- und Darmfunktion, Sexualität, Kognition, Schlucken und Sprechen mit Auswirkungen auf ihre Funktions- und Leistungsfähigkeit, sondern auch Veränderungen sozialer und psychologischer Art, die Folgen für ihre Lebensplanung und -führung haben. Bis zu 90 Prozent der Patienten sind davon betroffen (Kang & Ellis-Hill, 2019).
Häufige Begleiterkrankungen sind Angst, Depression, Apathie, Fatigue, Somatisierung, Halluzinationen und Impulskontrollstörungen. Zwischen den körperlichen und den nicht-motorischen Symptomen kommt es häufig zu Wechselwirkungen. Beispielsweise führen Schlafstörungen zu Gefühlen von Stress und Depressivität. Gleichzeitig sind Schlafstörungen Symptom einer Depression. So kann es zu sich bedingenden Teufelskreisen kommen.
Die Krankheitsverarbeitung erfolgt in fünf Phasen und schließt vergangene Erfahrungen, die aktuelle Situation sowie Erwartungen für die Zukunft ein. Die Verarbeitungsstufen sind nicht starr und so kann es im Verlauf der Erkrankung notwendig werden, bestimmte Phasen erneut zu durchlaufen.
Die erste Phase umfasst den Zeitraum der Diagnosestellung. Einige Patienten haben selbst Symptome an sich wahrgenommen, andere werden von Angehörigen oder dem behandelnden Arzt darauf aufmerksam gemacht.
In einer zweiten Phase folgt die Reaktion auf die Diagnose. Hier können positive wie negative Reaktionen auftreten. Häufig fühlen sich Patienten unter Schock. Sie berichten in den ersten Gesprächen nach Diagnosestellung von einem „Zusammenbruch der Lebensplanung“ oder über „eine große Unsicherheit und Angst vor der Zukunft.“ Nach außen wirken die Betroffenen häufig distanziert. Nicht selten treten aggressive Impulse auf, die die Betroffenen gegen sich selbst oder andere richten. Die Stimmung kann sich zum Depressiven verändern. Die Erkrankten halten Lebensrückblicke, sorgen sich über die noch verbleibende Zeit und realisieren Verluste. Positive Reaktionen zeigen häufig Patienten, die die Diagnose als eine Erleichterung nach einer „Arzt-Odyssee“ ansehen oder über eine hohe Resilienz (psychische Widerstandskraft) und eine optimistische Grundeinstellung verfügen (Anzaldi & Shifren, 2019). Positive Reaktionen verkürzen in der Regel den Anpassungsprozess, während negative Reaktionen der Betroffenen und / oder ihrer Angehörigen die Anpassung erschweren können.
In der dritten Phase erfolgt die Auseinandersetzung mit Schlüsselfaktoren. In dieser Phase sind die medikamentöse Einstellung, die Teilnahme an adjuvanten Therapien (etwa Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie), inhaltliche und zeitliche Anpassungen des Berufs bis hin zur Berentung sowie die Unterstützung durch Familie, Freunde und Selbsthilfegruppen zentral.
Über diese Anpassungsleistungen erfolgt die Überleitung zur vierten Phase. Es ist dies die Phase der Akzeptanz. Die oben beschriebenen Anpassungsleistungen vermitteln ein Gefühl der Selbsteffizienz und verlangsamen die Symptomentwicklung. Dazu gehört auch das Finden neuer Freizeitaktivitäten, wenn frühere Hobbys körperlich nicht mehr ausgeübt werden können. Autonomie ist ein zentrales Bedürfnis aller Menschen und ein signifikantes Anliegen der Parkinson-Patienten.
Im besten Fall folgt Phase fünf, in der Patienten eine optimistische Grundhaltung einnehmen. Das umfasst Gefühle von Hoffnung, Selbstbestimmung und Dankbarkeit. Psychologische Hilfe empfiehlt sich, sollten Depression und Gefühle von Sorge oder Resignation dominieren. Studien (etwas Shamskin-Garroway et al. 2016) konnten nachweisen, dass ein früher Krankheitsbeginn und ein hoher Grad funktioneller Einschränkungen die Entwicklung einer Depression begünstigen. Dabei ist zwischen organisch bedingten und reaktiv bedingten Depressionen zu unterscheiden.
Patienten mit einem späteren Krankheitsbeginn schätzen die Lebensqualität höher als jünger Erkrankte ein. Die Einschätzung der Lebensqualität ist darüber hinaus von bestimmten Persönlichkeitsdimensionen abhängig. Pontone und Kollegen (2016) konnten nachweisen, dass ein erhöhter Neurotizismus (emotionale Labilität, Schüchternheit und Gehemmtheit) sich eher negativ auf die Krankheitsverarbeitung auswirkt, ein hoher Grad an Gewissenhaftigkeit hingegen im Sinne einer guten„Therapietreue“ in Form z. B. pünktlicher Medikamenteneinnahme, regelmäßiger Teilnahme an Therapien etc. (auch „Compliance“ oder in neuerer Zeit „Adhärenz“genannt) positiv. Im klinischen Alltag zeigt sich noch immer eine gewisse Schwellenangst, psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. In fortgeschrittenen Krankheitsstadien, wenn die Wirkung der Medikation fluktuiert, wird die Unterstützung durch pflegende Angehörige, Familie und Freunde besonders wichtig, da sie über ein Gefühl der Teilhabe Selbstbewusstsein vermittelt und identitätsstiftend ist. Zu diesem Zeitpunkt der Erkrankung ist es auch entscheidend, die Bedürfnisse des Patienten zu ermitteln, um eine an die Person angepasste Unterstützung zu ermöglichen. Das gilt auch für professionelle Behandler im Rahmen der Psychotherapie (Kang & Ellis-Hill, 2015).
Eine Sonderstellung im Krankheitsverlauf stellt die Tiefe Hirnstimulation (THS) dar. Viele nicht-motorische Symptome wie Depression, kognitive Einbußen, Apathie und Impulskontrollstörungen können sich durch die THS verbessern. Sie können sich aber auch verschlechtern. Flores Alves Dos Santos und Kollegen (2017) beschreiben eine „burden of health“, eine Schwierigkeit, plötzlich gesund zu sein. Das Gefühl einer zweiten Chance, der Wunsch, zunächst eigenen Bedürfnissen nachzugehen, kann bis zum Bruch der Partnerschaft führen (Shahmoon & Jahanshani, 2017). Eine erneute Anpassung an die Erkrankung, die auch Familie und Partnerschaft betreffen (s. u.), muss erfolgen. Dem ersten postoperativen Jahr kommt daher eine besondere Bedeutung zu (Haahr et al., 2018). Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit der eigenen klinischen Wahrnehmung, dass postoperativ eine individuell zugeschnittene Beratung notwendig ist.
Wie erwähnt, stellt die Parkinson-Erkrankung auch die Angehörigen vor eine veränderte Lebenssituation, mit der sie lernen müssen umzugehen (Roland & Chappell, 2019). Nicht von ungefähr wird der pflegende Angehörige oft als „versteckter Patient“ bezeichnet. Da die meisten Parkinson-Patienten in einem höheren Lebensalter erkranken, sind auch die Partner entsprechend älter. Während andere ältere Menschen sich auf weniger Verpflichtungen einstellen, ist dies für pflegenden Angehörigen nicht möglich. Partner von jünger Erkrankten haben dafür zum Teil weitreichendere Veränderungen vor sich. Hier sind etwa Berufstätigkeit und Kinderwunsch zu nennen. Die meisten Studien konnten die höchste Belastung für Ehe-und Lebenspartner nachweisen. Kinder und andere Angehörige zeigten einen geringeren Belastungsgrad. Die Belastung steigt mit dem Grad motorischer Einschränkungen des Erkrankten, mit der Anzahl der Stürze, dem Vorhandensein von Depression und Apathie, von Schlafstörungen, von psychiatrischen Komplikationen sowie kognitiven Leistungseinbußen. Selbst leichte kognitive Beeinträchtigungen des Parkinson-Patienten führen zu einer erhöhten Belastung im Vergleich zur Versorgung von Patienten ohne geistige Leistungseinbußen.
Darüber hinaus sind die eigene psychische Stabilität des versorgenden Partners sowie seine Zufriedenheit mit der Beziehung relevant für die erlebte Belastung. Weibliche pflegende Angehörige fühlen sich mehr belastet als männliche (Gultekin et al., 2017). Die Qualität der Unterstützung und Pflege durch den Partner wird auch bestimmt durch Hilfen, die der Angehörige selbst in Anspruch nimmt (Pflegedienste, Essen auf Rädern, Psychotherapie, Unterstützung durch Familie und Freunde, Sportangebote etc.). Angehörige, die versuchen, mit der Erkrankung umzugehen und sie zu bewältigen, fühlen sich weniger belastet als Angehörige, die gegen die Erkrankung ankämpfen. Mit Zunahme der Symptomatik beim erkrankten Angehörigen wird es schwieriger, nicht in eine gegen die Krankheit ankämpfende Grundhaltung zu verfallen. Hier helfen soziale Unterstützung, eine direkte Kommunikation mit dem Erkrankten über dessen Bedürfnisse, die Inanspruchnahme von Dienstleistungen sowie im Bedarfsfall psychotherapeutische Unterstützung.
Auch der Behandler spielt eine gewisse Rolle in der Krankheitsverarbeitung der Parkinson-Patienten (Zittlau, 2019). Es ist wichtig, dass es gelingt, eine gute „Compliance“ für Diagnostik und Therapie beim Patienten zu bewirken, indem eine tragfähige Beziehung hergestellt wird. Auch die Kooperation mit anderen involvierten Berufsgruppen führt zu einem vertieften Wissen über den Patienten und ermöglicht die Entwicklung individuell angepasster Behandlungsstrategien. Dabei ist das Ausmaß, in dem der Behandelnde sein berufliches Handeln als wirksam erlebt, nicht unwichtig. Der Patient erlebt das Glas eher als halb voll denn als halb leer, wenn sein Behandler die Ansicht teilt und versucht, Ressourcen zu aktivieren, anstatt nur defizitorientiert zu handeln.
In Zeiten der Covid-19-Pandemie zeigte die Telefonsprechstunde, dass die aufgezwungene dauerhafte Nähe für etliche, insbesondere jüngere Paare, eine Herausforderung darstellte. Der pflegende Angehörige hatte häufig selbst berufliche (Homeoffice, Kurzarbeit) und private Veränderungen (Kinderbetreuung, Homeschooling) zu verarbeiten. Die telefonische Beratung konnte zu einer deutlichen Entlastung führen und erhielt vor diesem Hintergrund noch einmal ein anderes Gewicht.
Dipl.-Psych. Jeannette Overbeck
Leitende Neuropsychologin
Christophorus-Kliniken, Dülmen
www.christophorus-kliniken.de