Psychotherapie bei Parkinson

Von Prof. Dr. M. Macht und Prof. Dr. H. Ellgring

Menschen mit Parkinson erleben neben den körperlichen Symptomen auch seelische Belastungen: Angst und Depression, Stressanfälligkeit im Alltag, Schwierigkeiten im Umgang mit anderen, Veränderungen im Selbstbild. Schon mit der Diagnose werden viele von Ängsten heimgesucht. In depressiven Phasen schwindet der Lebensmut und das Selbstwertgefühl. Oft sind dann auch die motorischen Symptome schlechter zu kontrollieren.

Wer sich durch die Erkrankung seelisch belastet fühlt, kann verschiedene psychotherapeutische Ansätze nutzen, um seine Belastungen besser zu bewältigen. Eine tiefenpsychologisch fundierte Therapie kann helfen, die Reaktionen auf die Erkrankung im Hinblick auf die eigene Persönlichkeitsentwicklung zu verstehen. Eine Gesprächstherapie wirkt emotional unterstützend und fördert den Selbstwert. In einer Verhaltenstherapie werden, wie im Folgenden beispielhaft und auszugsweise dargestellt, Therapiebausteine genutzt, die auf die speziellen Probleme des Patienten abgestimmt sind. Denn die Parkinson-Erkrankung hat viele Gesichter. Während eine Patientin mit ihrem Schicksal hadert und vielleicht sogar daran denkt, ihrem Leben ein Ende zu setzen, fühlt sich ein anderer im Allgemeinen zwar gut, hat aber mit Pplötzlich auftretenden Bewegungsblockaden zu kämpfen. Ein weiterer erlebt Belastungen im zwischenmenschlichen Kontakt. In vielen Fällen geht es um einen der folgenden Problembereiche:

⬜️ Stress- und Krankheitsbewältigung

⬜️ Umgang mit veränderter Beweglichkeit

⬜️ Über die Erkrankung sprechen

⬜️ Gefühlsausdruck

BAUSTEIN 1 – Stress- und Krankheitsbewältigung

Gerade im Alltag treten häufig Belastungen auf. Darüber hinaus leiden viele Patienten an der veränderten Lebensperspektive und der Aussicht, dass die Erkrankung fortschreitet. Typische Probleme sind folgende:

⬜️ Psychische Krise unmittelbar nach der Diagnose

⬜️ Symptomsteigerung bei Aufregung

⬜️ Stressanfälligkeit

⬜️ Angstzustände

⬜️ Depressive Verstimmungen

⬜️ Gefühl der Überforderung

⬜️ Erschöpfungszustände

Dieser Therapiebaustein bietet die Möglichkeit, besser mit der Erkrankung zu leben, und vermittelt Fertigkeiten, die Lebensqualität trotz der Einschränkungen zu verbessern. Dabei sind zum Beispiel die folgenden Fertigkeiten wichtig:

⬜️ Sich gezielt entspannen

⬜️ Die Einstellung zur Erkrankung überprüfen
und verbessern

⬜️ Den Alltag stressfreier und angenehmer gestalten

Zunächst werden alltägliche Belastungen genauer betrachtet und man sucht nach Möglichkeiten, sie besser zu bewältigen. Dann wird die Einstellung zur Erkrankung reflektiert und verändert. Weiterhin geht es darum, die noch vorhandenen Möglichkeiten zur Steigerung der Lebensfreude zu nutzen. Beispiele individueller Ziele:

⬜️ Ich will weniger Stress beim Einkaufen erleben.

⬜️ Mein Leben soll nicht mehr so stark von
der Krankheit überschattet werden.

⬜️ Ich will lernen, mein Leben trotz der
Erkrankung zu genießen.

⬜️ Ich will meine Angst vor dem Fortschreiten
der Erkrankung überwinden.

FALLBEISPIEL – Angst vor öffentlicher Beachtung

Frau A. (59, seit 4 Jahren Parkinson) litt unter einem Tremor in Armen und Beinen, der sie bei verschiedenen Alltagsaktivitäten einschränkte (z. B. Schreiben, Essen mit Messer und Gabel). Sie befürchtete, durch das Zittern unangenehm aufzufallen oder als alkoholkrank bezeichnet zu werden. In öffentlichen Situationen versuchte sie das Zittern zu unterdrücken, wodurch dieses aber nur verstärkt wurde.

Sie ging kaum noch aus dem Haus und vereinsamte allmählich. In einem Stressbewältigungs-Training erlernte sie zwei Schritte: Zum einen machte sie, bevor sie zum Einkaufen ging, eine kurze Entspannungsübung. Zum anderen gelang es ihr durch stressmindernde Gedanken, ihre Reaktionen in Stresssituationen besser zu kontrollieren. Statt sich auszumalen: „Ich werde sicherlich gleich durch mein Zittern unangenehm auffallen!“, sagte sie sich: „Mein Parkinson ist keine Schande. Wenn ich mich von jemandem beobachtet fühle, kann ich ihn ignorieren oder auch davon erzählen.“

BAUSTEIN 2 – Umgang mit veränderter Beweglichkeit

Die erkrankungsbedingten Veränderungen der Beweglichkeit verkleinern den Handlungsspielraum des Patienten, verschlechtern sein Befinden und nagen am Selbstwert. Die Bewegungsprobleme sind je nach Patient unterschiedlich: längere Phasen der Unbeweglichkeit, plötzlich auftretende Bewegungsblockaden, Überbewegungen u. a. Dabei treten verschiedene seelische Belastungen auf:

⬜️ Ärger, Ungeduld, Angst und Verzweiflung aufgrund der Bewegungsprobleme

⬜️ Hilflosigkeit bei plötzlichen, kurzzeitigen Bewegungsblockaden

⬜️ Hilflosigkeit während längerer Phasen verminderter Beweglichkeit

Ein häufiges Problem ist, dass die emotionalen Reaktionen auf die Bewegungsprobleme diese noch verstärken. Selbst kleinste Belastungen wie eine Begrüßung verstärken den Tremor. Ein ansonsten gut beweglicher Patient kann sich plötzlich nicht mehr bewegen, weil nur wenig Zeit bleibt, um den Zug zu erreichen. Eine Patientin drückte es so aus: „Der Tremor ist der Seismograf meiner Gefühle.“ Auch wenn sich Bewegungsdefizite psychotherapeutisch nicht beseitigen lassen, ist es doch vielfach möglich, besser mit ihnen umzugehen. Es geht vor allem um folgende Ziele:

⬜️ Besseres Kennenlernen der Bewegungseinschränkungen und ihrer Schwankungen durch Selbstbeobachtung

⬜️ Suche nach Möglichkeiten zum besseren Umgang mit den Defiziten, zum Beispiel durch Entspannung

⬜️ Verbesserter Umgang mit plötzlichen Bewegungsblockaden

⬜️ Suchen und nutzen noch bestehender Freiräume

FALLBEISPIEL – Bewegungsblockaden und Off-Phasen

Herr K. (78 Jahre, seit 13 Jahren Parkinson) leidet unter Bewegungsblockaden. Sie werden vor Türen und Engstellen im Wohnbereich ausgelöst, beim Einsteigen in den Bus und in größeren Menschenmengen. Abgesehen von kurzen Spaziergängen kann er nur noch in Begleitung seiner Frau außer Haus gehen. Es trifft ihn hart, nicht mehr mit der Bahn fahren zu können. Zu den Freezing-Episoden kommen häufige Stürze und Phasen der Unbeweglichkeit.

Durch gezielte Selbstbeobachtung und Problem-Analysen erkannte er die Bedingungen seiner Bewegungsblockaden. Sie wurden durch Ärger, Angst und Anspannung verstärkt. Durch Entspannungsübungen und durch lautes Zählen gelang es ihm, die Blockaden besser zu kontrollieren. Entspannungsübungen halfen ihm, selbst längere Phasen von Unbeweglichkeit angenehmer zu gestalten

BAUSTEIN 3 – Über die Erkrankung sprechen

Parkinson ist eine öffentliche, sozial wirksame Erkrankung: Ihre Symptome werden von anderen bemerkt. Dazu kommt, dass die Verständigungsmöglichkeiten der Patienten beeinträchtigt sind: Sie neigen zu langsamem, leisem und monotonem Sprechen und zu einem verminderten Gesichtsausdruck. Häufig werden sie negativer wahrgenommen als Gesunde, fühlen sich sozial abgewertet und ziehen sich zurück. Andererseits machen viele gute Erfahrungen, wenn sie ihre Erkrankung ansprechen. Dieser Therapiebaustein fördert die Fähigkeit, über die Erkrankung zu sprechen. Typische Probleme, die behandelt werden, sind:

⬜️ Gefühl der Beobachtung in der Öffentlichkeit

⬜️ Belastung, wenn andere Personen die Symptome fehldeuten

⬜️ Schwierigkeiten, um Hilfe zu bitten

⬜️ Missverständnisse in der Partnerschaft

⬜️ Übermäßige Hilfestellungen durch Familienmitglieder

⬜️ Verständnisprobleme im Arztgespräch

Wer mehr über seine Erkrankung spricht, erfährt eher soziale Unterstützung. Und er wird in der Öffentlichkeit besser zurechtkommen. Beispiele für individuelle Ziele:

⬜️ Ich möchte in der Lage sein, die erkrankungsbedingte Veränderung meiner Beweglichkeit anzusprechen und zu erklären.

⬜️ Ich will lernen, wirksamer um Hilfe zu bitten.

⬜️ Ich will andere besser über meine
Erkrankung informieren.

⬜️ Ich will mit vertrauten Personen offen
über Probleme sprechen.

⬜️ Ich will lernen, besser zuzuhören.

In Rollenspielen werden Alltagssituationen nachgespielt und neue Verhaltensweisen erprobt. Dabei ist zum einen wichtig, das eigene Erleben offen zu beschreiben. Zum anderen ist das Zuhören hilfreich.

FALLBEISPIEL – Im Urlaub

Im Urlaub, den Frau D. (61 Jahre, seit einem Jahr Parkinson) wie gewohnt mit ihrem Mann in einer Pension verbrachte, empfand sie es als sehr belastend, im Speisesaal, mit all den anderen Gästen, zu essen, weil sie spürte, dass die Tischnachbarn ihr Zittern bei der Handhabung des Bestecks beobachteten. Das Gefühl der Beobachtung war sehr unangenehm und verstärkte das Zittern. Doch nach einiger Zeit erklärte sie den Tischnachbarn in sehr einfachen Worten den Ursprung ihres Zitterns. Das war für alle erleichternd. Von da an war die Atmosphäre während der Mahlzeiten angenehmer. Da sie sich entspannter fühlte, war das Zittern auch nicht mehr so stark. Die Situation wurde im Rollenspiel nachgebildet. Frau D. war dabei „Modell“ für die anderen Teilnehmer. Sie hat sich angewöhnt, von ihrer Erkrankung zu sprechen, und sagt: „Es ist viel anstrengender, sich zu verstecken.“

BAUSTEIN 4 – Gefühlsausdruck

Dieser Baustein soll Patienten helfen, denen es aufgrund der Erkrankung schwerfällt, ihre Gefühle auszudrücken und anderen Personen mitzuteilen. Typische Problembereiche, die behandelt werden, sind:

⬜️ Durch die Parkinson-Symptome bedingte Einschränkungen im Gesichtsausdruck und in der Gestik

⬜️ Einschränkungen des Sprechens

⬜️ Einschränkungen der Körpersprache

Zunächst ist es das Ziel, mögliche Einschränkungen in der Verständigung zu erkennen und einzuordnen. Für einige Patienten ist es sinnvoll, den Gesichtsausdruck zu üben, für andere das Sprechen. Manchmal hilft es auch schon, mehr als bisher auf die vorhandenen Fertigkeiten zu vertrauen. Wichtige Themenbereiche sind:

⬜️ Beschreibung des eigenen Gefühlsausdrucks

⬜️ Beschreibung des Gefühlsausdrucks bei anderen

⬜️ Übungen für den sprachlichen Gefühlsausdruck

⬜️ Übungen für Mimik, Gestik, Körperhaltung und Verhalten

FALLBEISPIEL – Ausdruck von Freude

Ein 60-jähriger Patient klagte darüber, dass ihm seine Ehefrau häufig vorwirft, sich zu wenig zu freuen. Seine Freude käme nicht so richtig zum Ausdruck. Durch das Training wurde er angeregt, vor dem Spiegel Übungen zur Mimik zu machen und auf seine anderen nicht-sprachlichen und sprachlichen Ausdrucksformen mehr zu achten. Nach dem Training bekam er aus seinem Bekanntenkreis die Rückmeldung, dass seine Hände bei einer Unterhaltung wieder mitreden. Er wurde auch nicht mehr so schnell unterbrochen. Seine Frau beobachtete, dass seine Mimik (lachen, schmunzeln) lebendiger war. Die Unterhaltungen waren nun auch für sie wieder angenehmer.

Die seelischen Belastungen, die mit einer Parkinson-Erkrankung einhergehen, können sehr verschieden sein. Zu den hier beschriebenen Problemen kommen bei einigen Patienten Belastungen der Partnerschaft oder Probleme im Umgang mit drängenden Handlungsimpulsen und Halluzinationen. Auch hier können psychotherapeutische Maßnahmen oftmals entscheidend helfen.

AUTOREN:

Prof. Dr. Michael Macht
Psychologischer Psychotherapeut
Zeller Straße 45 b
97082 Würzburg
www.praxismacht.de

Prof. i. R. Dr. Heiner Ellgring
Diplom-Psychologe
Institut für Psychologie
Universität Würzburg
ellgring@uni-wuerzburg.de

Leben mit Zukunft | Nr. 155 – 4/2020