Was tun in späten Stadien?

Bei fortgeschrittenem Parkinson, der mit der üblichen Behandlung nicht mehr beherrschbar ist, stehen heute drei Therapieoptionen zur Verfügung: Apomorphin, Duodopa und Tiefe Hirnstimulation. Von Jörg Rothweiler

  • Allgemein
  • Woher kommt das L-Dopa-Langzeitsyndrom?
  • Die Therapieoptionen für die späte Phase der Erkrankung
  • Variante 1: Tiefe Hirnstimulation (Hirnschrittmacher)
  • Variante 2: Die subkutane Apomorphin-Infusion
  • Variante 3: Die duodenale Duodopa-Infusion
  • Fazit: Die Therapie muss individuell entschieden werden
  • Tabelle 1: Spätkomplikationen bei Parkinson
  • Tabelle 2: Selektionskriterien für die Therapie

Allgemein

Für die medikamentöse Parkinsontherapie ist Levodopa (L-Dopa) in Kombination mit einem Decarboxylase-Hemmer (Benserazid, Carbidopa) bis heute das wirksamste Mittel – denn es wirkt gut gegen die in frühen Stadien dominierenden Symptome wie Bradykinese, Rigor und Tremor. Doch der bewährte «Goldstandard» L-Dopa, der meist mit weiteren Medikamenten wie COMT- oder MAO-B-Hemmern, Dopaminagonisten oder Anticholinergika verabreicht wird, hat auch Nachteile. Die orale L-Dopa-Therapie kann, je nach Krankheitsdauer, Schwere der Erkrankung, L-Dopa-Dosierung und möglichen weiteren Erkrankungen, zu motorischen Komplikationen wie etwa Dyskinesien, Freezing und Fluktuationen (On/Off-Phänomene) führen. Meist treten diese medikamentös induzierten Nebenwirkungen erst nach vielen Jahren auf. Dann werden sie oft von weiteren Komplikationen (Tab. 1) der fortschreitenden Erkrankung begleitet. Die Nebenwirkungen, auch L-Dopa-Langzeitsyndrom genannt, können aber auch bereits nach nur zwei Jahren Therapie auftreten, wie Studien belegen.

Woher kommt das L-Dopa-Langzeitsyndrom?

Beim gesunden Menschen ist die Konzentration an freiem Dopamin im Striatum im Regelfall quasi konstant. Weil bei Parkinson die Zahl der dopaminergen Synapsen sinkt, feuern die Neuronen intensiver, um eine kontinuierliche Stimulation der Dopaminrezeptoren aufrechtzuerhalten. Sind zu viele dopaminerge Synapsen abgestorben, versagt diese körpereigene Kompensation des Dopaminmangels. Es muss künstlich Dopamin zugeführt werden – in Form von L-Dopa, aus dem im Hirn Dopamin gebildet wird.

Das Problem: Die orale Gabe von L-Dopa ist eine diskontinuierliche Therapie, die Plasmaspiegel des Medikaments und damit auch die Konzentration an freiem Dopamin im Striatum steigen und sinken. Die Stärke der Schwankungen wird vor allem von der kurzen Halbwertszeit des L-Dopa, aber auch von der bei Parkinson nachlassenden Magen-Darm-Motilität (unregelmässige Magenentleerung) und von Wechselwirkungen des L-Dopa mit Nahrung und anderen Medikamenten beeinflusst. Verstärkt wird das Problem durch die abnehmende Fähigkeit der Neurone, überschüssiges Dopamin wieder aufzunehmen. Durch die Schwankungen reagieren die Dopaminrezeptoren immer sensibler und wegen der Toleranzentwicklung gegen L-Dopa müssen immer höhere Dosen verabreicht werden.

Fatales Resultat: Mit zunehmender Behandlungsdauer schrumpft das «therapeutische Wirkungsfenster» für L-Dopa und die durch die diskontinuierliche Stimulation der Dopaminrezeptoren ausgelösten Nebenwirkungen nehmen zu.

Ein Effekt, der bei der oralen L-Dopa-Therapie nicht zwingend, aber häufig auftritt. Ein Effekt aber vor allem, der für die Betroffenen und ihre Angehörigen harte Konsequenzen hat. Die vom L-Dopa-Langzeitsyndrom Betroffenen beklagen immer kürzere Phasen guter Beweglichkeit, kognitive Probleme, Störungen des autonomen Nervensystems sowie häufige Stimmungsschwankungen. Die Summe der Probleme führt zu sozialem Rückzug, sinkender Lebensqualität und Spannungen im familiären Umfeld – die oft in einer Heimeinweisung münden.

Die Therapieoptionen für die späte Phase der Erkrankung

Die Vielfalt der motorischen, psychischen und autonomen Komplikationen, die bei fortgeschrittenem Parkinson auftreten können (Tab. 1), schränkt die Therapieoptionen ein und bedingt eine für jeden Patienten «massgeschneiderte» Therapie. Für die knapp zwei Prozent der Patienten, deren fortgeschrittener Parkinson mit der üblichen Behandlung nicht mehr ausreichend beherrschbar ist, stehen drei Optionen zur Wahl: Apomorphin-Pumpe, Duodopa-Pumpe und Tiefe Hirnstimulation. Jede dieser Therapien hat Vor- und Nachteile (Tab. 2). Gemeinsam ist ihnen der prinzipielle Ansatz: Anders als die diskontinuierliche orale Therapie setzen sie auf kontinuierliche Wirksamkeit und möglichst konstante Medikamentenspiegel im Blutplasma.

Variante 1: Tiefe Hirnstimulation (Hirnschrittmacher)

Die Tiefe Hirnstimulation scheint nach dem bisher Gelesenen die beste Wahl zu sein – denn sie ist keine medikamentöse Therapie. Doch was auf den ersten Blick logisch scheint, relativiert sich bei genauerer Betrachtung: Selbst mit einem Hirnschrittmacher können die Patienten meist nicht auf eine begleitende (orale) Medikation verzichten. Überdies dürfen die Patienten keine psychischen Probleme (Demenz, Depressionen etc.) haben und müssen physisch in guter Verfassung sein. Auch Patienten mit ausgeprägten axialen Symptomen (Sprechstörungen, Gleichgewichtsstörungen mit Stürzen) eignen sich nicht für den Eingriff.

Die THS ist eine Option, wenn Tremor, motorische Fluktuationen und Dyskinesien im Vordergrund der Betrachtung stehen. Klinische Studien und die Auswertung ausgewählter Daten der weltweit bisher rund 40000 mit einer THS therapierten Patienten zeigen, dass die THS in Kombination mit L-Dopa diese drei Symptome lindern kann. In einer Studie mit 96 Patienten nahmen die Off-Phasen-assoziierten Symptome um 51 Prozent ab, während die On-Phasen konstant gut blieben.

Andererseits muss bedacht werden, dass die THS einen operativen Eingriff bedingt, dessen psychische Langzeitwirkungen (Ängste, Hypomanien, Depressionen, erhöhte Suizidgefahr) schwer abzuschätzen sind. Zudem kann die THS Nebenwirkungen wie eingeschränktes Sprachvermögen, Gangunsicherheiten oder eine verstärkte Neigung zu Stürzen verursachen.

Diese Nachteile der THS korrelieren laut Studien eng mit dem Lebensalter der Patienten – weshalb die THS vor allem für Patienten unter 65 Jahren eine Option ist. Gemäss einer Studie mit 156 Patienten kann die THS gerade jüngeren Betroffenen, vor allem bei schweren Dyskinesien, mehr Lebensqualität bringen als dies eine optimal adaptierte medikamentöse Therapie vermag. Und natürlich macht die Forschung auch bei der THS kontinuierlich Fortschritte. Dennoch ist die THS derzeit nur für einen äusserst kleinen Kreis von Parkinsonbetroffenen geeignet, wobei jüngere Patienten klar stärker profitieren als über 70 Jahre alte Betroffene.

Variante 2: Die subkutane Apomorphin-Infusion

Bis vor einigen Jahren war der Dopaminagonist Apomorphin die einzige Möglichkeit einer kontinuierlichen medikamentösen Parkinsontherapie. Der flüssige Wirkstoff wird mithilfe einer kleinen Pumpe subkutan (ins Unterhautfettgewebe) zugeführt. Der Aufwand ist überschaubar: Die kleine Pumpe wird in einer Gürteltasche getragen. Sie ist über einen dünnen Schlauch mit einer extrem feinen, 6 bis 10 mm langen Nadel verbunden, die ins Hautgewebe gestochen und mit Klebeband fixiert wird. Mit der kontinuierlichen ApomorphinInfusion können, das zeigen Studien, Off-Zeiten tagsüber um 50 bis 60 Prozent reduziert werden. Auch bei Dyskinesien können mit Apomorphin häufig gute Resultate erzielt werden. Sie hat meist keine negativen Auswirkungen auf Depressionen, kann aber manchmal zu psychischen und kognitiven Problemen führen.

Grösster Nachteil der Apomorphin-Therapie sind die teils heftigen Hautreaktionen. An den Einstichstellen können sich Knötchen bilden, das Unterhautfettgewebe verhärtet sich. Diese Hautreaktionen können sich negativ auf die Wirksamkeit (mangelnde Resorption des Wirkstoffes) auswirken. In vielen Fällen muss die Apomorphin-Infusion daher schon nach ein oder zwei Jahren beendet werden. Zweiter Nachteil der Apomorphin-Infusion: Wie die THS kommt sie nicht ohne (orale) Begleitmedikation aus. Gerade bei fortgeschrittenem Parkinson ist diese häufig sehr komplex und die Patienten müssen ihr Leben penibel nach dem Zeitraster der Medikamenteneinnahme ausrichten. Überdies ist die Handhabung der Pumpe relativ kompliziert, was manche Patienten oder deren pflegende Angehörige überfordern kann.

Problematisch für die Patienten ist die Kostenregelung bei der Apomorphin-Therapie. Zwar werden die Pumpe sowie alle dafür benötigten Verbrauchsmaterialien von der Krankenkasse bezahlt, das Medikament selbst aber ist nicht kassenzulässig. Allerdings übernehmen die meisten Kassen die Kosten, wenn ein entsprechendes Gesuch gestellt wird.

Variante 3: Die duodenale Duodopa-Infusion

Seit Dezember 2006 gibt es in der Schweiz mit dem Medikament Duodopa auch die Möglichkeit einer kontinuierlichen L-Dopa-Infusion. Der gelförmige Wirkstoff (Mischung aus L-Dopa und dem Decarboxylase-Hemmer Carbidopa) wird von einer Pumpe über eine dünne Sonde direkt in den Dünndarm infundiert, also exakt an den Ort, an dem er vom Körper auch resorbiert wird. Das Problem der schwächeren Magen-Darm-Motilität bei Parkinson wird damit umgangen.

Zur Abklärung, ob Duodopa eine wirksame Therapie für einen bestimmten Patienten darstellt, wird zunächst eine Sonde durch die Nase bis in den Dünndarm gelegt. Über diese wird das Medikament dann zugegeben. Verläuft dieser Test, bei dem die Duodopa-Dosis ganz allmählich bis zur optimal wirksamen Dosis erhöht wird, positiv, wird in einer kleinen Operation die definitive Sonde (sogenannte PEG-Sonde) durch die ¬Bauchdecke und den Magen in den Dünndarm geschoben.

Europaweit gibt es derzeit rund 5000 Patienten (Stand Januar 2016). In der Schweiz sind es aktuell mehr als 100 Patienten, welche mit einer Duodopa Pumpe leben. Die Therapie wird von praktisch allen Krankenkassen bei entsprechendem Gesuch übernommen.

Die sehr gute Wirksamkeit der Duodopa-Therapie gegen die Schwankungen der L-Dopa-Konzentration im Blutplasma indes ist unbestritten. In einer Studie konnte gezeigt werden, dass die Schwankungen unter Duodopa bis zu 47 Prozent geringer ausfallen als bei der oralen L-Dopa-Therapie. Entsprechend gut wirkt die kontinuierliche Duodopa-Infusion bei starken motorischen Fluktuationen und Dyskinesien. Laut einer Studie lassen sich mit Duodopa die Off-Zeiten um bis zu 80 Prozent reduzieren. Dies wirkt sich auch positiv auf nicht-motorische Symptome wie Schlafstörungen, die psychische Befindlichkeit, Kognition, Blasen- und Verdauungsprobleme aus. Einerseits weil diese Probleme überwiegend während der Off-Phasen auftreten, andererseits, weil die Patienten unter Duodopa besser beweglich, also mobiler und aktiver sind.

Zudem ist die Duodopa-Therapie, im Gegensatz zur THS, auch für ältere Patienten gut geeignet. Vorteile gegenüber der Apomorphin-Pumpe: Es können keine Hautreizungen auftreten und Duodopa kann meist als Monotherapie, also ohne orale Begleitmedikation, eingesetzt werden. Überdies hat Duodopa den Vorteil, dass es keine negativen Auswirkungen auf die Psyche und die kognitiven Fähigkeiten der Betroffenen hat. Laut einer Studie konnte unter Duodopa eine Verbesserung der nicht-motorischen Symptome um bis zu 55 Prozent erreicht werden.

Doch auch die Duodopa-Therapie hat Nachteile. So ist die Pumpe relativ gross und schwer (500 Gramm) und wegen der bis in den Dünndarm reichenden Sonde ist sie technisch und pflegerisch anspruchsvoll. Die Sonde kann verstopfen, brechen oder im Körperinneren verrutschen, weshalb Pumpe und Sonde regelmässig kontrolliert werden müssen. Dafür braucht es gut ausgebildetes Fachpersonal. Natürlich müssen überdies auch die pflegenden Angehörigen sorgfältig instruiert werden.

Fazit: Die Therapie muss individuell entschieden werden

Für einen Teil der Patienten mit fortgeschrittenem Parkinson, die unter starken motorischen Komplikationen leiden, welche noch auf L-Dopa ansprechen, gibt es mit Apomorphin, Duodopa und der Tiefen Hirnstimulation derzeit drei Optionen. Welche davon im Einzelfall die beste ist, muss in enger Kooperation mit den entsprechenden Spezialisten sorgfältig evaluiert werden. Die Stammzelltherapie oder andere transplantative Ansätze, auf die viele mit grosser Hoffnung warten, befinden sich derzeit leider alle noch im experimentellen Stadium der Entwicklung und können nach aktuellem Wissensstand noch nicht ausserhalb der klinischen Forschung eingesetzt werden.

Tabelle 1: Spätkomplikationen bei Parkinson

motorische KomplikationenFluktuationen, Dyskinesien, L-Dopa-resistente Symptome
psychische Komplikationenkognitive Probleme, Demenz; exogene Psychose; (Depression)
autonome (nicht-motorische) Komplikationenorthostatische Hypotension; Thermoregulations-Störungen; autonome Dysfunktion; Schmerzen; Schlafstörungen

Tabelle 2: Selektionskriterien für die Therapie

THSApomorphinDuodopa
leichte Demenzneinevtl.ja
schwere Demenzneinneinnein
schwere Psychoseneinevtl.evtl.
Depressionen, Ängsteneinjaja
pharmakoresistenter Tremorjaneinnein
fehlende soziale Unterstützungevtl.neinnein
Patient älter als 70 Jahreneinjaja
Patient möchte unabhängig seinjaevtl.evtl.

Quelle: https://www.parkinson.ch/index.php?id=189