Tanztherapie

NATUR & HEILEN im Gespräch mit Chefarzt und Neurologe Prof. Dr. Georg Ebersbach

„Es ist sehr eindrucksvoll zu sehen, dass Patienten, die sonst in ihrem Alltag stark bewegungsgehemmt sind, in ihren Bewegungen auf einmal wieder fast gesund wirken, wenn sie durch die Musik angeregt werden.“

Prof. Dr. Georg Ebersbach ist leitender Chefarzt der Parkinsonklinik Beelitz-Heilstätten und bietet in seiner Einrichtung nicht nur medikamentöse, sondern auch verschiedene Bewegungstherapien an – darunter mit großem Erfolg die Tanztherapie. NATUR & HEILEN hat sich mit dem Facharzt für Neurologie über die heilsamen Effekte des Tanzens unterhalten. 

NATUR & HEILEN: Herr Prof. Dr. Ebersbach, bei welchen neurologischen Erkrankungsbildern kann eine Tanztherapie hilfreich sein? 

Ich kenne die Tanztherapie, speziell auch den Tango, vor allem in Zusammenhang mit Parkinson – was von der Art der Defizite, die man damit behandelt, auch Sinn macht. Denn durch das Tanzen werden ja viele Dinge angesprochen, die bei Parkinson im Argen liegen, wie z. B. Gleichgewicht, Rhythmus oder Körperschwerpunkt-Verlagerungen. Ansonsten kommt die Tanztherapie natürlich auch bei anderen neurologischen, psychosomatischen und psychiatrischen Erkrankungen zum Einsatz. Ich persönlich kann ihren Stellenwert aber nur für die Parkinsontherapie bewerten.

Nehmen wir mal das Beispiel eines ParkinsonPatienten. Welche Symptome kennzeichnen denn diese Erkrankung, und inwiefern kann man hier mit der Tanztherapie ansetzen? 

Da gibt es zum einen die motorischen Aspekte. Parkinson geht ja mit einer Bewegungsverarmung einher, das heißt, mit der Zeit werden die Bewegungen kleiner, sparsamer und reduzierter. Es treten auch Probleme mit dem Gangrhythmus auf, z. B. kommt es beim Laufen häufig zum Stocken – zu sogenannten Gangblockaden. Auch das Gleichgewicht kann nachlassen, was mit einem erhöhten Sturzrisiko verbunden ist. Parallel dazu gibt es oft psychische Begleiterscheinungen, dass der Antrieb nachlässt, die Fähigkeit zur Selbstmotivation und Selbstaktivierung schwieriger wird. Und dann gibt es natürlich noch das Psychosoziale – diesen ganzen Komplex „Selbstwertgefühl, Partnerschaft, gesellschaftliches Leben, Sexualität“, der auch noch mit reinspielt. Hier kann man mit dem Tanzen auf ganz unterschiedlichen Ebenen intervenieren.

Wie lassen sich denn die positiven Wirkmechanismen des Tanzens konkret erklären? 

Na ja, grundsätzlich muss man sagen, dass Bewegung an sich eine sehr wichtige Komponente in der Therapie von Parkinson ist. Inzwischen kann man durchaus postulieren, dass sich der Krankheitsverlauf durch körperliche Aktivität positiv beeinflussen lässt – natürlich nicht im Sinne einer Heilung, aber eben doch im Sinne einer Verzögerung oder Verlangsamung des Behinderungsfortschreitens. Und was die psychosoziale Ebene angeht, da hat das Tanzen natürlich noch mal einige Alleinstellungsmerkmale: dass eben ein Partner dabei ist, dass es vom Spaßfaktor her größer ist als Geräteturnen oder so und dass man die Betroffenen dadurch auch leichter motivieren kann, es auszuprobieren. Musik und Tanz scheinen darüber hinaus eine besondere Form der motorischen Aktivierung anzusprechen, die über andere neuronale Schleifen läuft. Es ist sehr eindrucksvoll zu sehen, dass Patienten, die sonst in ihrem Alltag stark bewegungsgehemmt sind, in ihren Bewegungen auf einmal wieder fast gesund wirken, wenn sie durch die Musik angeregt werden. 

Und halten diese Verbesserungen auch nachhaltig im Alltag der Patienten an? 

Ja, Untersuchungen belegen, dass die Tanztherapie durchaus eine nachhaltige Wirkung hat. Es gibt da etablierte motorische Tests, die sich verändern -z. B. in puncto Gleichgewicht oder Gangbild etc. Was man allerdings nicht beurteilen kann, ist das, was auf struktureller neuronaler Ebene passiert – also Stichwort Neuroplastizität oder Neuro-Regeneration. Man ist weit davon entfernt, das irgendwie untersuchen zu können. Mangels Sponsoring sind Studien über solche Therapieformen meist auch relativ klein und haben dementsprechend nur eine begrenzte Aussagekraft Sie sind nicht vergleichbar mit großen Therapiestudien, wie sie die Pharmaindustrie auf den Weg bringt. Aber dadurch, dass es mittlerweile schon eine ganze Reihe von Untersuchungen mit kongruenten Ergebnissen gibt kann man auf jeden Fall zu dem Schluss kommen, dass das Tanzen messbar die Motorik verbessert und auch nachhaltig wirkt. Man muss aber auch sagen, dass die Erfolge – wie bei vielen anderen Therapieformen auch – ganz stark von der persönlichen Motivation und Neigung abbangen. Bewegungstherapien sind ja immer sehr individuell: Der eine schwimmt gerne, der andere macht lleber Ergometertraining und der Nächste tanzt halt gerne. Als Gruppeneffekt kann man daher auf jeden Fall sagen: Ja, Tanztherapie ist eine nützliche Sache! Ob sie aber jedem Einzelnen hilft, da muss man leider sagen, nein. Man muss es einfach ausprobieren.

Das heißt, im Endeffekt liegt der Schlüssel eher darin, zurück in die Aktivität und Lebensfreude zu kommen?

Richtig, genau. Und dann muss man mit den Betroffenen den Weg finden, der am besten zu ihnen passt Und das kann in vielen Fällen Tanzen sein, in anderen eben nicht Wir bieten hier bei uns im Haus z. B. auch Tai-Chi an – und ein Potpourri aus Standardtänzen. Unsere Tanzgruppe kommt einmal die Woche samstags zusammen und wird von den Patienten sehr gut angenommen. Wir haben viele, die vorher gesagt haben: Janzen, nee, das ist nichts für mich!‘, und die dann doch ganz begeistert waren und weiter mitmachen.

Nun ist ja der Tango im Rahmen der Tanztherapie besonders gut untersucht worden. Was unterscheidet ihn denn therapeutisch von anderen Tanzformen?

Der Tango hat durch seine Neigefiguren viel mit dem Kennenlernen von Stabilitätsgrenzen zu tun. Ein Walzer ist beispielsweise längst nicht so herausfordernd. Insofern kann man mit dem Tango sehr gut die Körperwahmehmung schulen, gerade auch die Balance. Dadurch hat dieser Tanz durchaus Elemente, die ihn für Parkinson-Patienten als besonders geeignet erscheinen lassen.

Könnten Sie sich aufgrund Ihrer Erfahrungen auch vorstellen, dass das Tanzen nicht nur symptomatisch, sondern auch ursächlich das Krankhertsgeschehen beeinflusst?

Vorstellen kann man sich vieles. Aber das ist ja nichts, was man von außen sehen könnte. Wir können klinisch nicht erkennen, ob mehr oder weniger Nervenzellen im Gehirn zugrunde gehen. Was wir aber sehen, ist, dass die Betroffenen besser drauf sind und sich ihre motorischen Fähigkeiten verbessern.

Herr Prof. Ebersbach, herzlichen Dank für dieses Gespräch!

Quelle: NATUR & HEILEN, Heft 05/2020, Angela Lieber