Störung des Gleichgewichts und Stürze

Stürze sind sehr häufig bei Parkinson-Patienten. In der Regel entstehen die ersten Defizite bezüglich des Gleichgewichtes (Halten und Verändern von Körperhaltungen) 5 Jahre nach Auftreten der ersten Symptome, meistens durch progressive, reduzierte posturale Reflexe. Defizite in der Propriozeption, der Beweglichkeit der Wirbelsäule und Veränderungen der Levodopamedikamente können das Gleichgewicht weiterhin negativ beeinflussen.

Bis jetzt wurde angenommen, dass Stürze im Durchschnitt nach 5 Jahren auftreten. Vor Kurzem wurde aber deutlich, dass Parkinson-Patienten bereits in den frühen Krankheitsjahren ein erhöhtes Sturzrisiko haben.

Ein reduziertes Sturzrisiko in den späten Phasen wiederum lässt sich durch eine passivere Lebensweise oder durch die Immobilität erklären. Stürze zeigen sich vor allem bei den Parkinson-Patienten, bei denen sich Gehschwierigkeiten als Erstsymptome zeigten.

Folge von Stürzen

Stürze verursachen physische, soziale and finanzielle Belastungen während der Krankheit. Nicht weniger als 65% der Stürze führen in einem von drei Fällen zu Hüft- und Beckenverletzungen. Parkinson-Patienten haben eine zwei- bis vierfache Wahrscheinlichkeit Hüftfrakturen zu erleiden. Im Vergleich mit ihren Altersgenossen liegen Parkinson-Patienten mit einer Hüftfraktur länger im Krankenhaus und haben eine längere und weniger erfolgreiche Rehabilitation. Dies ist eine Erklärung für Stürze als Hauptursache von Pflegebedürftigkeit.

Assoziierte Faktoren

Die Faktoren, die mit Stürzen in Verbindung gebracht werden, sind teilweise krankheitsspezifisch, z.B. „Freezing of Gait“, reduzierte Schritthöhe, Bradykinesie und eingeschränkte posturale Reflexe. Weitere Faktoren können z.B. Nebenwirkungen von sedativen Medikamenten, täglicher Alkoholkonsum und Urininkontinenz sein. Welche Rolle die Flexionshaltung spielt ist unklar. Einerseits könnte die Haltung Ausfallschritte beeinträchtigen, die das Gleichgewicht halten, anderseits könnte es eine natürliche, vorbeugende Antwort sein um Stürze nach hinten zu verhindern Parkinson-Patienten, die aktiv versuchen, ihre Haltung zu korrigieren, können als Folge instabiler werden.

Parkinson-Patienten, die schon gestürzt sind, zeigen innerhalb der folgenden 3 Monaten eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, erneut zu stürzen. Dies ist möglicherweise durch eine erhöhte Sturzangst zu erklären. Parkinson-Patienten, die keine Sturzgeschichte haben, können Sturzangst entwickeln. Die Sturzangst könnte zu „Activity of Daily Living“ (ADL) Einschränkungen führen, die wiederum ein Risikofaktor ist für zukünftige Stürze.

Mobilitätseinschränkungen, die assoziiert werden mit erhöhter Sturzangst, sind Aufstehen von einem Stuhl, Schwierigkeiten beim Drehen, Startschwierigkeiten (Hesitation), Festination, Verlust des Gleichgewichtes und „schlurfende“ Schritte. Auch reduziertes Selbstvertrauen für das Gleichgewicht könnte das Sturzrisiko erhöhen. Die meisten Stürze bei Parkinson-Patienten ereignen sich im Raum beim Drehen, beim Aufstehen, beim Bücken nach vorne oder bei Dual tasking.

Dual Tasks

Dual- und Multitasking können zu Stürzen beitragen, weil es zu einer Kombination von reduzierter psychomotorischer Geschwindigkeit und Aufmerksamkeitsflexibilität kommt. Dieses Problem verstärkt sich, wenn die Dual Tasks aus einer motorischen und einer mentalen Aufgabe bestehen (z.B. Reden während des Gehens). Wenn Gehaufgaben komplexer werden, opfern ältere Menschen die Leistung der mentalen Aufgabe (z.B. eine Frage beantworten) dem Ziel, ihren Gang und ihre Balance zu optimieren. Diese Strategie wird die „Haltung erst“-Strategie genannt. Dennoch zeigen Parkinson-Patienten eine erhöhte Fehlerquote, sowohl in der mentalen als auch der motorischen Aufgabe. Die Erklärungen dafür liegen in den Defiziten der Aufmerksamkeit, einer reduzierten Aufmerksamkeitsflexibilität und in einer Einschränkung in der Priorisierung der Aufgaben. Dem zu Folge kann Multitasking bei Parkinson-Patienten zu „Freezing of Gait“ oder Gleichgewichtsverlust während des Gehens führen. Selbst die Aufforderung, während des Trainings dem Physiotherapeuten zuzuhören, ist ein Beispiel für Dual Tasking und kann zum Freezing beim Gehen oder zu einem Gleichgewichtsverlust führen, wenn Parkinson-Patienten mit exekutiver Dysfunktion beim Gehen beide Aufgaben bewältigen möchten.

Quelle: Zusammenfassung aus der deutschen Fassung der „Europäischen Physiotherapie-Leitlinie beim idiopathischen Parkinsonsyndrom für die Schweiz
https://www.parkinson.ch/fileadmin/public/docs/Fachpersonen_deutsch/Leitfaden04_2016.pdf


Die Gleichgewichtstörungen und die damit verbundenen Stürze mit hoher Verletzungsgefahr bedeuten bei der fortgeschrittenen Parkinson-Krankheit große Probleme. Neben der Krankheitsprogression besteht auch ein Zusammenhang mit der verminderten Muskelkraft. Die Sturzgefahr wird weiter erhöht, wenn auch Freezing-Erscheinungen auftreten. Auch gleichzeitige Ausführung von zwei motorischen Tätigkeiten, plötzlich ausgeführte Bewegungen (Telefon klingelt, Patient will zum Telefon eilen) führen häufig zu Stürzen. Infolge der Stürze entwickeln die Patienten erhebliche Ängste, die dann zu einer Verstärkung der Gleichgewichtsprobleme führen. Die Stürze erfolgen überwiegend nach vorne oder auf der Seite. Besonders gefährlich sind Stürze nach hinten ohne Kompensationsmechanismen, die bei den atypischen Parkinson-Symptomen noch häufiger sind. Bei zunehmender Mobilität infolge der erfolgreichen Medikation kann die Sturzgefahr leider noch größer werden.

Die Übungen zur Erhaltung des Gleichgewichts und zur Vermeidung von Stürzen sind umso wichtiger, weil die Medikation in fortgeschrittenen Stadien der Krankheit diese Symptome nicht zufriedenstellend beeinflussen kann.

Ein wichtiger Teil dieser Übungen ist das Erlernen von kompensatorischen Ausfallschritten. Bei dieser Übung wird der hinter dem Patienten stehende Therapeut den Patienten ruckartig nach hinten ziehen und auffangen, wie bei der Untersuchung der so genannten Retropulsion. Der Patient soll lernen, diese plötzliche Veränderung der Körperlage und die dadurch entstandene Fallneigung durch einen Ausfallschritt nach hinten zu kompensieren.

Auch die früher beschriebenen Übungen gegen die Starthemmungen beim Gehen sind Teil des Trainingsprogramms zur Verminderung der Sturzgefahr.

Es ist häufig notwendig, die Übungen mit direkter Hilfeleistung des Therapeuten als einzelgymnastisches Training durchzuführen. Auch die Benutzung von Abstützmöglichkeiten wie z.B. ein Gehbarren ist empfehlenswert. Geeignete Übungen sind z.B. der Seiltänzergang, Übungen auf weicher Unterlage (Matratze), Trampolin oder auf dem Schaukelbrett, das Laufband kann ebenfalls für das Trainieren des Gleichgewichts eingesetzt werden.

Die Sturzprophylaxe beinhaltet aber auch die Aufklärung der Patienten und der Angehörigen. Der Patient soll lernen, solche Situationen zu meiden, die die Gefahr des Hinfallens in sich bergen. Zeitdruck, hektische Bewegungen, Anziehen ohne Abstützmöglichkeit, durch äußere Reize durchgeführte schnelle Bewegungen, Rückwärtsgang, schnelles Umdrehen, gleichzeitig Gehen und etwas in der Hand halten, Starthemmung, Trippelschritte, Ablenkung durch intensives Gespräch beim Gehen sind häufige Auslöser von schweren Stürzen.

Die Wohnraumgestaltung spielt in der Sturzprophylaxe eine wichtige Rolle. Türschwellen, lose Teppiche, scharfe Möbelkanten, überflüssige Türen sollten beseitigt werden. Ausreichende, auch nächtliche Beleuchtung, kurze Wege zur Toilette, Haltegriffe, Stühle mit Armlehnen können die Sturzgefahr deutlich verringern.

Für die Prophylaxe der Sturzfolgen sind Helme, Knie- und Hüftpolster geeignete Hilfsmittel.

Siehe auch: Gehblockade, Freezing