Prof. Thomas Gasser zum aktuellen Stand

Rund 400 000 Menschen leiden in Deutschland an der neurodegenerativen Erkrankung Parkinson. Unspezifische Symptome sind Verstopfung, Depressionen oder Geruchsstörungen. Typischerweise tritt häufig auch ein gestörter Traumschlaf auf, auch bezeichnet als REM-Schlafverhaltensstörungen. Die Betroffenen haben dabei lebhafte Träume, manche schreien währenddessen und treten oder schlagen um sich. „Acht von 10  Menschen mit REM-Schlafverhaltensstörungen erkranken innerhalb von 10 bis 15 Jahren an Parkinson“, sagt Thomas Gasser, Ärztlicher Direktor der Abteilung Neurologie mit Schwerpunkt Neurodegenerative Erkrankungen an der Universitätsklinik Tübingen.

Was passiert bei Parkinson im Gehirn?

Ein wichtiger Akteur ist ein kleines ­Protein, das Alpha-Synuclein, das unter anderem die Ausschüttung des Botenstoffs Dopamin im Gehirn reguliert. Hat dieses Protein eine fehlgefaltete Molekülstruktur, kann es in den Dopamin-produzierenden Nervenzellen der Substantia nigra im Mittelhirn verklumpen. Die Proteinklumpen werden normalerweise von einem zelleigenen Müllentsorgungssystem abgebaut, das sich in bestimmten Zellorganellen, den Lysosomen, befindet. Ist der Müllberg zu groß oder arbeitet die Müllentsorgung zu schlecht, häuft sich immer mehr Alpha-Synuclein in den Nervenzellen an, bis diese schließlich absterben. Die produzierte Dopaminmenge wird nach und nach kleiner. Dopamin ist aber das Schmieröl für die Feinmotorik. Mangelt es daran, können die Hände zittern, die Muskeln sind steif, Bewegungen verlangsamen sich und der Gang wird kleinschrittiger. Sogar die Schrift verändert sich.

Was ist zu den Ursachen bekannt?

„Bislang ist man sich sicher, dass zu­mindest eine Teilursache in den so­genannten Parkinsongenen liegt wie zum Beispiel dem GBA-Gen“, sagt Gasser. So haben etwa fünf bis zehn Prozent der P­arkinsonpatienten erbliche Genveränderungen (Mutationen), die dazu führen, dass das Protein Alpha-Synuclein fehlgefaltet ist, deshalb leicht verklumpt und die Betroffenen oft bereits vor dem 50. Lebensjahr erkranken. Bei Parkinsonpatienten mit einer Mutation des GBA-Gens scheint zugleich eine verringerte lysosomale Müllentsorgung vorzuliegen. Im Laborversuch kann das Hustenmittel Ambroxol sie wieder aktiver machen. Fernziel der Forschung ist es, für bestimmte Mutationen zielgerichtete Therapien zu entwickeln, die bereits im Frühstadium das Fortschreiten der Erkrankung wesentlich verlangsamen oder mittels Gentherapie sogar ganz verhindern. Und bei den weiteren 90 Prozent der Patienten? Hier scheinen verschiedene Faktoren zusammenzuspielen. „Beispielsweise Umweltfaktoren wie Pestizide. Sie hemmen möglicherweise den Abbau des Alpha-Synucleins“, sagt Gasser. Eine wichtige ursächliche Rolle spielen auch bei den nicht erblichen Fällen in der Bevölkerung weitverbreitete Genvarianten, die das Risiko für Parkinson etwas erhöhen. Erst wenn bei einem Menschen mehrere dieser Genvarianten auftreten, überschreiten die aufaddierten Risiken eine Schwelle.

Wie sieht die aktuelle medikamentöse Therapie aus?

„Nach wie vor ist der Dopaminersatz die wesentliche Säule der Therapie“, sagt ­Gasser. Dazu gehören L-Dopa, das im ­Gehirn zu Dopamin umgewandelt wird, Dopamin­agonisten, die ähnlich wie Dopamin in Nervenzellen wirken, und MAO-B- und COMT-Hemmer, die den Abbau von Dopamin blockieren. „Was sich geändert hat, ist, dass wir heute möglichst frühzeitig und möglichst konsequent Medikamente verabreichen“, sagt Gasser. Eine frühe medikamentöse Behandlung erhält die Kompensationsfähigkeit des Gehirns. Gasser: „Der Dopaminersatz verbessert die Motorik der Patienten, ermöglicht es ihnen also, immer wieder normale Bewegungsabläufe einzuüben. Deshalb bleiben motorische Fähigkeiten länger erhalten.“

Welche nicht medikamentösen Behandlungsoptionen sind wichtig?

Physio-, Bewegungs- und Sprachtherapie und vermehrt körperliche Aktivität wie Ausdauersport können den Erkrankungsverlauf sehr günstig beeinflussen und die Lebensqualität steigern. Die noch relativ neue Transkranielle Magnetstimulation wirkt von außen auf die Großhirnrinde und restauriert besonders gut neuronale Netzwerke, die für Bewegungsabläufe wichtig sind. Die schon länger eingesetzte Tiefenhirnstimulation arbeitet dagegen mit implantierten elektrischen Sonden in der Nähe der Substantia nigra. „Bei der Stimulationstechnik gibt es besonders deutliche Verbesserungen bei bereits schwer betroffenen Patienten, bei denen Medikamente nicht mehr befriedigend wirken“, sagt der Tübinger Parkinson­experte. „Sensoren an den Knöcheln der Patienten oder in deren Schuhen machen es inzwischen sogar möglich, bedarfsgerecht zu stimulieren.“ Wenn der Sensor merkt, dass der Gang des Patienten stolprig wird und eine Bewegung kurz davor ist, ein­zufrieren (Freezing), dann meldet er das an den hinterm Schlüsselbein implantierten Schrittmacher. Der feuert mit kleinen Stromimpulsen sofort dagegen, um das Freezing zu unterbrechen. „Hier wird die normale Dauerbasisstimulation mit einer angepassten Bedarfsstimulation kombiniert.“

Könnte das Darmmikrobiom therapeutisch wichtig sein?

Ablagerungen von Alpha-Synuclein treten nicht nur im Gehirn auf, sondern auch in Nervenzellen der Riechschleimhaut und des Darms. Möglicherweise breiten sie sich über den Vagusnerv des vegetativen Nervensystems oder über den Riechnerv bis ins Gehirn aus. Forscher des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung und des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen untersuchen gemeinsam, ob unterschiedliche Verläufe der Erkrankung wie schnell/langsam, Demenz/Nichtdemenz durch verschiedene Darmmikrobiota erklärbar sind. „Es ist geplant, dass wir bei Patienten einer schon seit Jahren bestehenden Studiengruppe in regelmäßigen Abständen Stuhlproben, Blut und Nervenwasser abnehmen“, erzählt Gasser. „Vielleicht finden wir so heraus, ob es möglich ist, das Fortschreiten der Erkrankung durch eine personalisierte Stuhltransplantation zu verlangsamen – und wie der ,therapeutische‘ Stuhl beim jeweiligen Patienten beschaffen sein muss.“

Quelle: Artikel aus der Stuttgarter Zeitung vom 11. Mai 2020 von Gerlinde Felix