MS durch Herpesviren?

Multiple Sklerose: Herpesviren wohl Hauptauslöser

Eine US-Studie hat herausgefunden, dass Epstein-Barr-Viren bei der Erkrankung eine Rolle spielen. 

Berlin. Die Anzahl der Menschen, die bundesweit an Multipler Sklerose (MS) erkranken, steigt. Waren es in Deutschland 2019 noch etwa 240 000, so sind es der aktuellen Auswertung für 2020 zufolge bereits mehr als 252 000. Damit ist die MS die häufigste chronisch entzündliche Erkrankung des Zentralen Nervensystems.

Seit Jahren wird daran geforscht, was diese Autoimmunerkrankung auslösen kann. Nun scheint die Hauptursache gefunden: In einer umfassenden Studie , die am vergangenen Donnerstag im Fachmagazin „Science“ veröffentlicht worden ist, wurde ein direkter Zusammenhang mit MS und einer vorangegangenen Epstein-Barr-Virus-Infektion (EBV) nachgewiesen. Das Herpesvirus ist unter anderem dafür bekannt, das Pfeiffersche Drüsenfieber aber auch verschiedene Krebserkrankungen zu verursachen.

Die US-amerikanischen Studienautoren analysierten hierfür Blutproben von über zehn Millionen Militärangestellten, die jährlich routinemäßig auf HIV getestet werden. Sie identifizierten 801 Personen mit Multipler Sklerose und untersuchten deren Blutproben auf Antikörper gegen das EBV. Sie stellten fest: Nur bei einem der 801 MS-Fälle konnten keine Antikörper gegen das EBV nachgewiesen werden. Bei 34 Betroffenen konnte anhand der Blutabnahme sogar zeitlich genau nachverfolgt werden, wie sie sich vor dem Ausbruch der Multiplen Sklerose mit dem EBV-Virus angesteckt haben.

Nach Ansicht deutscher Experten verfestigt die Studie den Verdacht, den Mediziner und Wissenschaftler schon lange hegten: „Die Studie macht es sehr, sehr wahrscheinlich, dass eine EBV-Infektion Voraussetzung für MS ist“, sagt etwa Wolfgang Hammerschmidt, Mitglied des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung. Die Aussage der US-Studienautoren, dass die Virusinfektion als Hauptursache angesehen werden kann, führt allerdings nicht nur Hammerschmidt zu weit. Auch Roland Martin, Multiple-Sklerose-Experte am Unispital Zürich, betont, dass bei MS-Patienten nachweislich auch andere Parameter wie genetische Faktoren und Umweltrisiken eine Rolle spielen. Zu letzteren gehören niedriges Vitamin D, Rauchen, Fettleibigkeit, Schichtarbeit sowie die Darmflora. „Ob nun das EBV der wichtigste Umweltfaktor ist oder einer unter mehreren, kann die Studie meines Erachtens nicht abschließend klären“, so Martin.

So verweist auch Klemens Ruprecht, Leiter der Multiple Sklerose Ambulanz an der Charité Berlin darauf, dass mehr als 90 Prozent der Menschen sich in ihrem Leben mit dem EBV infizieren – aber nur wenige erkranken nachfolgend an MS, obwohl das Virus bei allen Menschen lebenslang im Körper verbleibt. „Man kann die MS vielmehr als eine seltene Spätkomplikation einer EBV-Infektion ansehen“, sagt Ruprecht.

In wieweit die Erkenntnisse der US-Studie dazu ausreichen, neue Behandlungsmethoden der MS zu entwickeln, ist noch unklar. Grundsätzlich wäre nach Ansicht des Schweizer Arztes Martin eine Impfung gegen EBV im frühen Kindesalter oder solange man EBV-negativ ist, sehr sinnvoll, um eine Infektion zu verhindern. Allerdings, so ergänzt es Ruprecht von der Charité, stünden derzeit keine zugelassenen EBV-Impfstoffe zur Verfügung. „Darüber hinaus würde es Jahrzehnte dauern, bis abschließend klar wäre, ob ein derartiger Impfstoff tatsächlich einen Schutz vor MS bewirkt.“

Artikel aus der Stuttgarter Zeitung vom 14. Januar 2022