Marode Gelenke – was tun?

Beitrag von Klaus Zintz in der Stuttgarter Zeitung vom 15.12.2021

Arthrose ist eine Volkskrankheit. Immer wieder werden neue Behandlungsansätze undhô Wirkstoffe als Durchbrüche gefeiert. Das weckt Hoffnungen, doch die Realität sieht anders aus – noch. 

Stuttgart. Arthridea – die Göttin der Gelenke“, „Arthro Forte + als Vitalstoff für Knorpel und Faszien“, ­„Gelenkgold für glückliche Gelenke“: Das sind nur drei Beispiele für die Fülle an Mitteln, die von Schmerzen geplagten Arthrosepatienten Hilfe versprechen. Zum einen sollen sie die Beschwerden lindern, zum anderen mit Nährstoffen den Knorpel gesund erhalten. Nicht zu vergessen das oft als Allheilmittel für marode Gelenke gepriesene Hyaluron. All diesen Mitteln ist gemeinsam, dass sie oft ziemlich teuer sind. Und dass ihre Wirksamkeit bei der Behandlung von Arthrose, also der fortschreitenden Zerstörung von Gelenken durch immer wiederkehrende Entzündungen, umstritten ist, um es vorsichtig zu formulieren.

Der Markt boomt, was kein Wunder ist. Schließlich leiden geschätzt fünf Millionen Deutsche an dieser Volkskrankheit. Für rund die Hälfte aller Fälle wird dabei eine langjährige hohe Beanspruchung der Gelenke verantwortlich gemacht – mit einer daraus folgenden Abnutzung der Gelenkflächen. Da die Menschen immer älter werden, nimmt auch die Zahl der Arthrosepatienten zu. Und weil die schleichenden Veränderungen der Gelenke oft richtig schmerzhaft sind und zu Bewegungseinschränkungen führen, suchen die Betroffenen händeringend nach Hilfe. Da greift man gerne nach jedem Strohhalm und probiert auch teure Mittel aus, die keine Kasse bezahlt. Für die Hersteller und Anbieter ist das ein Riesengeschäft.

Cortison und Hyaluronsäure werden ins Gelenk gespritzt

Allerdings müssen die als hilfreich angepriesenen Wirkstoffe dorthin kommen, wo sie benötigt werden. Das aber ist bei einem Knorpel äußerst schwierig, weil er als weitgehend isoliertes Körperteil kaum am Stoffwechsel teilnimmt. Also bleibt als effektiver Weg nur, die Wirkstoffe direkt in das Gelenk zu spritzen. Das geht zum Beispiel mit Cortison und Hyaluronsäure. Doch mit der Spritze können ungewollt Bakterien ins Gelenk gelangen, die dort unheilvolle Entzündungen auslösen können.

Hinzu kommt, dass die Wirksamkeit solcher Aktionen – wohlwollend ausgedrückt – nicht ausreichend belegt ist. Zweifellos kann eine Cortisongabe ins Gelenk als „Wohlfühlspritze“ die Schmerzen eine gewisse Zeit lang gut lindern. Doch die Wirkung lässt bald nach, auf Dauer kann dies – unabhängig vom Infektionsrisiko – wohl auch das betreffende Gelenk weiter schädigen. Bei Hyaluron könnte eine gewisse entzündungshemmende Wirkung ebenfalls hilfreich sein, aber nur zeitlich begrenzt und eher schwach. Wissenschaftlich gesichert ist dies alles aber nicht. Hinter vorgehaltener Hand reden viele Orthopäden, also die Fachärzte für den Bewegungsapparat, Klartext: „Hyaluron hilft – aber nur der Kasse der Hersteller.“ Für sie ist Arthrose eine bisher noch nicht heilbare Krankheit. Die Knorpelschicht, welche die Gelenkflächen schützt und als Stoßdämpfer dient, kann sich bei Erwachsenen nicht mehr regenerieren, wenn sie einmal geschädigt ist – sei es durch Abnutzung, Unfall oder Sportverletzung.

Gleichwohl gibt es durchaus hilfreiche Behandlungsmethoden, allen voran die sogenannte autologe Chondrocyten-Transplantation (ACT). Bei dieser in den 1990er Jahren entwickelten Technik werden aus einem gesunden Knorpel Zellen entnommen, im Labor vermehrt, dann wird die defekte Stelle im Knorpel damit repariert. Doch diese elegante Methode ist nur für eng begrenzte, meist durch Unfälle bedingte Knorpelschäden geeignet. Bei den meisten Patienten ist der Schaden für eine solche Reparatur allerdings zu groß.

Die Ursache wird bisher nicht wirklich verstanden

Ein großes Problem bei der Behandlung der Arthrose ist, dass ihre Ursachen bisher nicht wirklich verstanden sind. Auffallend ist, dass manche Menschen trotz hoher Belastung mit ihren Gelenken auch im Alter keine Schwierigkeiten haben, während andere wiederum schon in jungen Jahren eine Arthrose entwickeln können. Hier könnten niederschwellige entzündliche Prozesse im Körper von Bedeutung sein, bei denen das Fettgewebe, insbesondere das Bauchfett, eine Rolle spielt.

Auch genetische Faktoren haben wohl einen wichtigen Anteil an der Erkrankung. So haben kürzlich Forschende unter Leitung des Münchner Helmholtz-Zentrums in einer großen internationalen Studie die Daten von 825 000 Personen im Hinblick auf Arthrose ausgewertet. Dabei haben sie unter anderem genetische Risikofaktoren identifiziert, die besonders Frauen betreffen – oder die eine Arthrose ungewöhnlich früh auftreten lassen.

Doch bis solche grundlegenden Erkenntnisse zu neuen Behandlungsmethoden und Medikamenten führen, mit denen sich die Ursachen der Arthrose bekämpfen lassen, wird es noch einige Zeit dauern. So lange bleibt für Arthrosepatienten neben der medikamentösen Dämpfung der Schmerzen nur, den schleichenden Abbau der Gelenke hinauszuzögern und die Folgen zu mindern: mit Physiotherapie und viel Bewegung sowie einer entzündungshemmenden Ernährung.

Wird schließlich der Leidensdruck zu groß, bleibt nur noch ein Ausweg: der teilweise oder vollständige Ersatz des maroden Gelenks . Tröstlich dabei ist, dass diese sogenannte Endoprothetik in den vergangenen Jahren stets verbessert wurde und sich damit beachtliche Erfolge erzielen lassen. Ein Leben ganz ohne Schmerzen und Beschwerden kann aber ein künstliches Gelenk leider nicht garantieren.