M. Parkinson – wie geht es den Angehörigen?

Ich erlebe sie oft in meiner Praxis, diese Situation: ein Patient (ich nehme hier das Beispiel eines männlichen Betroffenen und einer weiblichen Partnerin) hantiert an seinem Programmiergerät für die Hirnstimulation, aber er kommt nicht wirklich damit zurecht. Seine Partnerin versucht zaghaft Ratschläge zu geben, traut sich aber nicht wirklich einzugreifen. Dann wende ich mich an beide und schlage vor, ob nicht die Lebenspartnerin oder Ehefrau einmal versuchen möchte, das Gerät zu bedienen. Oftmals kommt die erschreckte Antwort: „ich habe mich doch noch nie mit Technik befasst, das hat immer mein Mann gemacht“. 

In diesem Moment gilt es kein Porzellan zu zerschlagen. Als Arzt muss ich mich vorsichtig in die Beziehungskonstellation hineintasten: ist der Patient bereit Selbstständigkeit und Kompetenzen abzugeben? Ist die Partnerin/der Partner willig, Kompetenz und damit auch Verantwortung für Fehlschläge auf sich zu nehmen?

Hierbei erlebe ich verschiedene Konstellationen. Manchmal grenzt die Reaktion an Empörung, manchmal renne ich aber auch offene Türen ein. Der Vorschlag, die bisherige Rollenverteilung zu ändern, wird gerne angenommen. Es ist aber nicht immer der Patient, der den größten Widerstand entgegenbringt, manchmal möchten Partner auch gar nicht aus ihrer abhängigen Rolle heraus.

Manchmal gleicht die Situation einem Schiff, dessen Kapitän ausgefallen ist, aber niemand will das Ruder übernehmen.

Ängste vor der Reaktion der Umwelt spielen eine Rolle – darf ich das, die führende Rolle übernehmen? Diese Befürchtung haben in meiner Erfahrung vor allem Frauen. Hier kann der Arzt vermittelnd und ermutigend eingreifen.

Die Belastung der Angehörigen

Morbus Parkinson ist eine Erkrankung, die zu schweren Einschränkungen der Lebensqualität der Betroffenen führt. Diese beschränken sich nicht auf die bekannten Störungen der Motorik, sondern erstrecken auf alle Lebensbereiche. Neben der Stimmung kann auch das Denkvermögen des Patienten in erheblichen Umfang betroffen sein. Häufig finden sich Depressionen, im weiteren Verlauf kann eine Demenz auftreten. 

Zu wenig beachtet wird dabei, dass aber auch die Angehörigen mit betroffen sind. Diese müssen nicht nur die motorischen Einschränkungen/körperlichen Behinderungen auffangen und kompensieren. Sie müssen sich auch auf die Veränderungen im geistigen Bereich einstellen. Aus dieser Situation heraus resultieren Spannungen und Konflikte, die das Zusammenleben erheblich beeinträchtigen können. Dabei zeigt sich nicht selten, dass bisherige Verhaltensmuster und Gewohnheiten nicht mehr ausreichend und angemessen sind. Bei Verlust der Selbstständigkeit des Erkrankten muss sein soziales Umfeld zunehmend Unterstützung leisten und Aufgaben übernehmen, die ungewohnt und ungeübt sind. Die veränderte Situation erfordert einen Rollenwechsel, wenn die bisherigen Verhaltensmuster einer Familie oder Partnerschaft ihre Gültigkeit verlieren. Dann muss der in der ursprünglichen Beziehung weniger aktive Partner mehr Aufgaben und Verantwortung übernehmen, ohne dem Erkrankten ein Gefühl der Entmündigung zu vermitteln. Gleichzeitig muss der Patient die neue Rollenverteilung akzeptieren und Aufgaben und Kompetenzen abgeben.  Dies erzeugt ein Spannungsfeld, dessen Chancen erkannt und genutzt werden müssen.

Erschwerend kommt hinzu, dass entweder durch Therapien wie Medikamente oder Tiefe Hirnstimulation, aber auch durch die Krankheit selbst, das Einsichtsvermögen des Patienten eingeschränkt wird. Hier sind der Patient und seine Angehörigen oft allein gelassen, da sich Ärzte und Therapeuten vornehmlich auf die Erkrankung des Patienten selbst konzentrieren und die Interaktion mit dem Umfeld weniger Aufmerksamkeit geschenkt bekommt.

Zusammenhang mit Tiefer Hirnstimulation (THS) 

Was hat das alles mit der Tiefen Hirnstimulation zu tun, mit der ich mich in meiner Praxis hauptsächlich beschäftige? Sehr viel! Hier werden die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Bewältigung von Konflikten und Problemen geschaffen. Hierzu muss man wissen, dass die THS ja nicht nur auf motorische Fähigkeiten Einfluss hat, sondern auch die Psyche maßgeblich beeinflusst. So können abhängig von den Einstellungen der THS Stimmung, Antrieb und Kritikvermögen verändert werden. Auf der einen Seite kann sich die THS sehr positiv auf die Stimmung auswirken, allerdings kann die sich bis zu Hypomanie, also einer ungesunden Steigerung der Stimmung auswirken. Auch kann es zu übermäßig gesteigertem Antrieb und Impulskontrollstörungen kommen. Andererseits kann, wenn unter Stimulation die Medikamente zu stark reduziert werden, auch das Gegenteil eintreten, der Mangel an Medikamenten führt zu Antriebslosigkeit und Depression. Die Zusammenhänge sind kompliziert und noch Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion, in der täglichen Erfahrung jedoch gängig. Hier muss sehr sorgfältig darauf geachtet werden, dass nicht in der Bemühung, ein motorisch optimales Ergebnis zu erzeugen, die Psyche des Patienten so verändert wird, dass die Fähigkeit Probleme konstruktiv anzugehen eingeschränkt wird. Patienten tendieren dazu, die Stimulation so hoch wie möglich zu fahren, nicht nur weil sie dann besser beweglich sind, sondern weil es nicht selten auch die Stimmung anhebt. Hier gibt es oft schwierige Diskussionen, in denen man die Betroffenen davon überzeugen muss, dass weniger mehr ist. Nicht immer macht man sich hier bei beliebt, aber es ist aus meiner Sicht die Verantwortung des Arztes es sich nicht leicht zu machen und den Patienten gelegentlich von der Wichtigkeit des Maßhaltens zu überzeugen.

Wenn es aber gelingt, ist es eine dankbare Aufgabe.


Dr. Cyron ist Inhaber einer neurochirurgischen Praxis in Karlsruhe mit Schwerpunkt Einstellung Tiefe Hirnstimulation

Neurochirurgische Praxis Dr. Cyron
Amalienstraße 93
76133 Karlsruhe
www.neuro-cyron.de 


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