Genetische Parkinson-Formen

Bei einem kleinen Teil der Parkinson-Patienten (weniger als 5%) kann eine klare Erblichkeit festgestellt werden. Trotz ihrer Seltenheit hat die Identifikation und funktionelle Analyse der Gene, die zu diesen sog. „monogenen“ Formen der Erkrankung führen, ganz wesentlich zur Aufklärung der zellulären Mechanismen der Krankheitsentstehung beigetragen. Man nimmt an, dass bislang nur ein kleiner Teil der ursächlichen Gene gefunden wurde.

Die Parkinson-Krankheit wurde 1817 von James Parkinson beschrieben. An weiteren Meilensteinen in der Erforschung, Diagnose und Therapie der Parkinson-Krankheit sind zwischen 1910 und 1920 der Nachweis der sogenannten Lewykörper im Gehirn (einer nur mikroskopisch sichtbaren Ansammlung von Eiweißen innerhalb der Zelle) durch Heinrich Lewy in München und der Befund, dass die sogenannte schwarze Substanz im Mittelhirn abgeblasst ist, zu nennen.

1960 wiesen dann österreichische Wissenschaftler und Ärzte um Ehringer den Mangel des Botenstoffes Dopamin im Gehirn von Parkinson-Patienten nach. Diese Entdeckung führte letztlich zur ersten wirksamen Behandlung der motorischen Beschwerden Akinese, Rigor und Ruhetremor in Form von L-Dopa – dem Vorläufer von Dopamin (Birkmayer und Hornykiewicz).

Keiner dieser bahnbrechenden Entdeckungen hat jedoch unsere Sichtweise auf die Parkinson-Krankheit so beeinflusst, wie der Nachweis des ersten Gens für eine seltene erbliche Form der Parkinson-Krankheit. Dieses Gen, genannt PARK1, definiert eine gestörte Produktion des Eiweißes Alpha-Synuklein.

Kurz nach dieser Entdeckung konnte bewiesen werden, dass diese Lewy-Körper zu einem guten Teil aus verklumptem Alpha-Synuklein bestehen. Hierauf beruht letztlich auch die Stadien-Einteilung von Braak und Mitarbeitern im Jahre 2003, wonach die Parkinson-Krankheit, wie wir sie als Neurologen sehen und diagnostizieren, letztlich ein Spätstadium einer sogenannten Alpha-Synukleinopathie ist.

Der genetische Durchbruch führte zu einer Revolution der Ursachenforschung für die Parkinson-Krankheit.

Wie die Übersichtsarbeit von Brüggemann und Gasser [dPV-Nachrichten „Leben mit Zukunft“ Nr. 139 – 4/2016] zeigt, sind mittlerweile mindestens sechs ursächliche Gene für sogenannte monogene Formen der Parkinson-Krankheit (die in diesen Fällen durch eine Mutation in einem einzigen Gen verursacht wird) sicher bekannt. Zusätzlich wurden bis zum Jahre 2016 mehr als 25 sogenannte Risiko-Gene veröffentlicht. Das Vorliegen einer dieser genetischen Risi- kovarianten erhöht das Risiko, an Parkinson zu erkranken.

Ähnlich revolutionär ist die Entdeckung einer Untergruppe von Parkinson-Patienten, die eine erbliche Störung des mitochondrialen Energiestoffwechsels der Zelle besitzen und die Erkenntnis, dass eine Erkrankung der Kinderheilkunde, eine Störung des Eiweißes Glucocerebrosidase A, wenn sie gering ausgeprägt ist, ein hohes Risiko mit sich führt, die Parkinson-Krankheit auftreten zu lassen.

Diese genetischen Erkenntnisse haben die Therapieforschung in den Laboratorien verändert. Man sucht nicht mehr nach Substanzen, die an Rezeptoren oder abbauenden Eiweißen von L-Dopa wirken, sondern danach, warum das Eiweiß Alpha-Synuklein in falscher Konformation oder in zu hoher Konzentration gebildet wird, sich verklumpt und dann innerhalb der Nervenzelle wandert und möglicherweise sogar von einer Nervenzelle in die nächste übertritt.

Letzteres Modell wurde aus den sogenannten Prionenerkrankungen übernommen und wird derzeit intensiv diskutiert. Denn aus diesem letzteren Modell würde sich eine neue Therapie, wie z. B. die Immuntherapie, als sinnvoll ableiten.

Nach 20-jähriger Forschung zeigen sich nun also die ersten Früchte des Umschwenkens der Therapieforschung in den Bereich der Proteinsynthese und des Proteinabbaus.

Alle diese Störungen lassen sich in Verbindung mit Alpha-Synuklein bzw. pathologischen Formen von Alpha-Synuklein in Verbindung bringen.

Schaut man auf die letzten 200 Jahre zurück, so ist zweifelsfrei der Durchbruch in der genetischen Forschung im Jahre 1997 der entscheidende Zeitpunkt, der letztlich dazu führen dürfte, dass wir eine krankheitsmodifizierende, krankheitsverzögernde, wenn nicht sogar krankheitsverhindernde Therapie entwickeln werden. Es war noch nie so spannend, sich in der Forschung für die Parkinson-Krankheit zu engagieren, denn noch nie waren Forscher so weit vorgedrungen wie heute, dass sie dem Patienten andeuten können: „Wir werden irgendwann die Krankheit in den Griff bekommen!“

Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Oertel


Autoren

Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Oertel

Hertie Senior-Forschungsprofessor | Klinik für Neurologie Fachbereich Medizin | Philipps Universität Marburg

Prof. Dr. Thomas Gasser

Ärztlicher Direktor | Universitätsklinik Tübingen | Abt. Neurologie mit Schwerpunkt Neurodegenerative Erkrankungen und DZNE Tübingen

PD Dr. Norbert Brüggemann

Oberarzt | Klinik für Neurologie | Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Lübeck

Dr. Kathrin Brockmann

Leiterin der Parkinson-Ambulanz | Universitätsklinik Tübingen | Abt. Neuro- logie mit Schwerpunkt Neurodegenerative Erkrankungen und DZNE Tübingen

Prof. Dr. Ullrich Wüllner

Neurologische Universitätsklinik und DZNE Bonn | Universitätsklinikum Bonn

Prof. Dr. Meike Kasten

Neuropsychiatrische Epidemiologie | Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Universität zu Lübeck

Prof. Dr. Christine Klein

Direktorin des Instituts für Neurogenetik | Universität zu Lübeck