Ein Labor wie in ‚Breaking Bad‘

Der österreichische Neurobiologe Christopher Weyrer erforscht an der Harvard Medical School, wie Synapsen im Gehirn funktionieren

INTERVIEW von Bernadette Redl aus dem Wiener „STANDARD“ vom 11. Jänner 2020

Ursprünglich kommt Christopher Weyrer aus Amstetten. Er hat in Wien und Linz Medizin und Physik studiert. Aktuell ist er Research Fellow an der Harvard Medical School. Bernadette Redl traf den Neurobiologen in Wien zu einem Gespräch über Grundlagenforschung und den Innovationsstandort Boston.

STANDARD: Sie sind Neurobiologe. Welche Frage wird Ihnen am häufigsten gestellt?

Weyrer: Was ist Bewusstsein?

STANDARD: Und?

Weyrer: Das wissen wir noch nicht ganz. Oder zumindest nicht gut genug. In wissenschaftlichen Kreisen ist das sehr umstritten, auch weil es natürlich schwer zu untersuchen ist.

STANDARD: Wie das Gehirn ganz allgemein.

Weyrer: Ja. Biologische Systeme sind extrem komplex, vor allem das Gehirn. Es gibt viele Faktoren, die miteinander interagieren und wechselwirken. Über viele davon wissen wir noch viel zu wenig, einige haben wir wahrscheinlich noch gar nicht entdeckt.

STANDARD: Woran arbeiten Sie gerade?

Weyrer: Aktuell interessiert mich, wie Synapsen funktionieren und wie sie sich plastisch verändern und verstärken können. Synapsen sind die Schnittstellen zwischen Nervenzellen, an denen Neurotransmitter freigesetzt werden. Wir haben etwa gezeigt, dass an der synaptischen Verstärkung ein spezielles Protein beteiligt ist.

STANDARD: Welche Anknüpfungspunkte Ihrer Grundlagenforschung gibt es zur Anwendung am Menschen?

Weyrer: Ich forsche definitiv mit der Absicht und Hoffnung, menschliche Vorgänge zu erklären. Wir wissen, dass Funktion und Plastizität von Synapsen in allen möglichen psychiatrischen Krankheiten gestört oder verändert sind, etwa bei Autismus, Alzheimer oder Parkinson. Ob das ein Symptom ist oder die Ursache, wissen wir in vielen Fällen nicht. Mit der Grundlagenforschung müssen wir die biologischen Zustände im Gesunden besser kennen, um dann Rückschlüsse für gewisse Krankheiten zu ziehen.

STANDARD: Sie arbeiten also an der Heilung von Krankheiten?

Weyrer: Nein, das kann man so nicht sagen. Inwieweit Wissen aus der Grundlagenforschung die Anwendung beeinflusst, ist oft schwer vorherzusehen. Man muss sich das vorstellen, wie Max Planck einmal gesagt hat: „Dem Anwenden muss das Erkennen vorausgehen.“ Dafür gibt es verschiedene Beispiele.

STANDARD: Welche?

Weyrer: Dass Dopamin für die Behandlung von Psychosen wichtig ist, war eine Entdeckung durch Trial and Error. Aber dass es auch bei Parkinson eine Rolle spielt, war durchaus ein Ergebnis rigoroser Grundlagenforschung. Wir müssen erst die Mechanismen kennen, bevor wir helfen können. Etwa auch bei Depressionen. Die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs) sind derzeit die Antidepressiva erster Wahl. Sie bewirken, dass Serotonin vermehrt im synaptischen Spalt verbleibt – ein Beispiel für synaptische Forschung mit konkreter Anwendung.

STANDARD: Wie schaut Ihr Arbeitsplatz aus?

Weyrer: In unserem neurobiologischen Labor versuchen wir, mehrere Bereiche abzudecken – von der Molekularbiologie und Genetik über die Physiologie bis hin zum Verhalten. Wir haben mehrere Areale für den jeweiligen Einsatzbereich. Da gibt es klassische biologische und chemische Bereiche, große Mikroskope, die einen ganzen Raum ausfüllen, viele Computer und zum Beispiel den Physiologiebereich, der aussieht wie eine Elektronikwerkstatt.

STANDARD: Und was machen Sie dort?

Weyrer: In der Physiologie zapfen wir Nervenzellen direkt an, steuern und lesen sie elektrisch und optisch. Dafür haben wir kleine Glaskapillaren, die wir mit einer Substanz füllen, die dem Inneren der Zelle ähnlich ist. In einem anderen Areal des Labors schaut es eher so aus wie in der Fernsehserie „Breaking Bad“, und es gibt viele chemische Substanzen, die wir zusammenmischen. Dort stelle ich etwa künstliche Rückenmarksflüssigkeit her.

STANDARD: Warum sind Sie nach Boston gegangen?

Weyrer: Auch in Österreich habe ich schon gut geforscht. Boston hat den Vorteil, dass es enorm viele Universitäten gibt, einige gehören zur absoluten Weltspitze. Auch bei Anwendung und Innovation ist Boston sicherlich die Biotech-Hauptstadt der Welt. Und die Bürokratie ist keine so große Hürde wie hierzulande, dadurch wird vieles schneller umgesetzt. Außerdem sind die finanziellen Ressourcen da. Es gibt für alle möglichen Anwendungen Start-ups und Laborgegebenheiten. Zudem gibt es viele motivierte und kluge Leute. Überspitzt formuliert, ist es in Boston fast schon schwierig, jemanden ohne PhD zu finden. Außerdem wird in Amerika mit Fehlschlägen sicherlich positiver umgegangen. Sie sind ein essenzieller Bestandteil von Forschung und Innovation.

STANDARD: Welche Rolle spielt die Finanzierung?

Weyrer: Sie ist natürlich sehr wichtig. Grundlagenforschung muss darauf hoffen, dass die Gesellschaft sie unterstützt und wertschätzt. Beim Start unserer Experimente haben wir ja oft keine direkte Anwendung im Sinn – auch wenn wir natürlich darauf hoffen. In Boston weiß man genau, wie wichtig Grundlagenforschung ist, weil die Gesellschaft schon oft davon profitiert hat und sie Innovation beflügelt. Es gibt dort sehr viele öffentliche Mittel, aber auch viele private Geldgeber.

STANDARD: Welchen Verbesserungsbedarf gibt es in Österreich?

Weyrer: Ich würde mir generell für die Forschung einen höheren Stellenwert wünschen. Grundlagenforschung ist wichtig und sinnvoll. Neben der Finanzierung brauchte es auch eine besser ausgestattete Lab-Infrastruktur. Und man muss versuchen, mehr Talente anzuziehen. Dafür braucht es bessere Karrieremöglichkeiten. Der Beruf macht Spaß, besteht aber auch aus einigen Fehlschlägen – da muss man sicher sein, dass es dennoch eine Karriere gibt. Es geht auch um Infrastruktur, die man braucht, wenn man Unternehmen gründen will. Innovation liegt mir am Herzen. Auch ich will in Zukunft mehr in diese Richtung gehen und Biotech-Firmen unterstützen und gründen. Ich kann mir gut vorstellen, eines Tages zurückzukehren. Ich finde, Österreich ist auf einem guten Weg, wenn auch ein bisschen langsamer, als ich es oft gerne hätte.

(Bernadette Redl, 11.1.2020)

Christopher Weyrer ist Neurobiologe und hat seinen PhD an der University of Cambridge und der Harvard Medical School gemacht. Finanziell unterstützt wurde er unter anderem von der B&C Privatstiftung.

Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000113089066/hirnforscher-ein-labor-wie-in-breaking-bad