Botulinumtoxin

Wenn wir über Parkinson-Medikamente sprechen, nennen wir meistens L-Dopa, Dopamin-Agonisten oder andere Präparate, mit welchen wir die Kernsymptome Akinese, Rigor und Tremor behandeln. Nur selten denken wir dabei auch an nicht-motorische Störungen und Therapiekomplikationen. Dabei sind es gerade diese Symptome, welche die Lebensqualität erheblich einschränken. Viele der Medikamente, die zur Verfügung stehen, sind nur für andere Indikationen zugelassen, was bei der Verordnung erhebliche Probleme verursachen kann.

Botulinumtoxin

Botulinumtoxin wird seit fast 30 Jahren therapeutisch eingesetzt. Bedauerlicherweise denken die meisten Menschen dabei nur an die ästhetischen Indikationen. Dabei wird die Substanz viel häufiger bei Krankheiten eingesetzt.

Zugelassene Indikationen für eines der Botulinumtoxine sind:

  • Torticollis spasmodicus
  • Blepharospasmus
  • Spasmus hemifacialis
  • Spastischer Spitzfuß bei ICP
  • Armspastik nach Schlaganfall
  • Fußspastik nach Schlaganfall
  • Axilläre Hyperhidrosis
  • Korrugatorfalten
  • Chronische Migräne
  • Neurogene / idiopathische Blase

Außerdem ist Botulinumtoxin erstattungsfähig bei spasmodischer Dysphonie. In absehbarer Zeit rechnen wir mit einer Zulassung von Botulinumtoxin beim Speichelfluss. Dies wäre die erste zugelassene Indikation speziell beim Parkinson-Syndrom.

Aber auch aus der Liste der zugelassenen Indikationen ergeben sich bereits etliche Einsatzgebiete für Botulinumtoxin beim Parkinson-Syndrom. Darüber hinaus kann man das Medikament sehr hilfreich bei Fußdystonien einsetzen. Diese Indikation ist noch nicht zugelas- sen und wird es eventuell auch nie, da der Aufwand für eine Studie sehr hoch wäre. So sind wir in diesen Fällen auf Einzelfall-Entscheidungen angewiesen.

Wie wirkt Botulinumtoxin?

Botulinumtoxin hemmt die Übertragung von Nerven auf Muskeln und Drüsen. Die Nerven, Muskeln und Drüsen bleiben unverändert. Die Übertragung ist nur zeitlich begrenzt blockiert, meist

drei Monate, und bildet sich vollständig zurück. Damit die Wirkung gezielt erfolgt, muss das Botulinumtoxin an den Zielort injiziert werden. Damit sind auch Fernwirkungen wenig wahrscheinlich.

Wer führt Injektionen mit Botulinumtoxin durch?
Mittlerweile gibt es sehr viele Praxen und Kliniken, die Injektionen mit Botulinumtoxin durchführen. Fragen Sie Ihren behandelnden Arzt. Eine Information liefert auch die Internetseite www.botulinumtoxin.de

Zervikale Dystonie

Beim Parkinson-Syndrom tritt gelegentlich auch eine zervikale Dystonie auf, welche nicht anders behandelt wird als der Torticollis generell. Eine Besonderheit stellt der Anterocollis dar, d. h. die deutliche Kopfbeugung. Hier muss unterschieden werden, ob es eine Schwäche der Muskulatur oder ein verstärkter Zug der Muskulatur ist; dies gelingt in der Regel mit einer klinischen Untersuchung. Ein hilfreicher Test ist das Anheben der Arme; wenn die Kopfhebung dadurch deutlich erleichtert wird, könnte es sich um einen Zug des Schulterhebers (Levator scapulae) handeln (Abb. 1). Dieser Muskel ist einfach zu injizieren. Unter Ultraschallkontrolle wird Botulinumtoxin in mittlerer Dosis injiziert, die Wirkung setzt nach wenigen Tagen ein und hält etwa drei Monate an. Diese Injektion kann regelmäßig wiederholt werden. In vielen Fällen lässt sich eine mäßige Besserung, in einigen Fällen sogar eine gute Kopfhebung erzielen.

Speichelfluss

Die wichtigste Indikation für Botulinumtoxin bei Parkinson ist der Speichelfluss (Sialorrhoe). Parkinson-Patienten produzieren nicht mehr Speichel, sondern schlucken den Speichel nicht genügend ab, weshalb es immer wieder zum Herauslaufen des Speichels kommt. Verstärkend wirken sich dann Kopfbeugung sowie der inkomplette Mundschluss aus. Medikamente zur Reduktion der Speichelproduktion haben meist relevante Nebenwirkungen. Seit etlichen Jahren wird Botulinumtoxin eingesetzt.

Es erfolgt eine Injektion unter Ultraschallkontrolle (Abb. 2+3) in die Speicheldrüsen, womit die Speichelproduktion für einige Monate reduziert werden kann. Üblicherweise wird in zwei Speicheldrüsen pro Seite injiziert (Parotis und Glandula submandibularis). Es kann theoretisch zu lokalen Blutungen sowie einem trockenen Mund kommen. Die Wirkung

lässt wieder komplett nach. Aktuell findet eine Zulassungsstudie statt, sodass wir in absehbarer Zeit mit einer Zulassung rechnen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Substanz für diese Indikation noch nicht zugelassen, sodass es einer Zustimmung der Krankenkasse im Ein- zelfall bedarf.

Fußdystonie

Bei Parkinson-Patienten kommt es häufig zu Fußdystonien. Die Symptomatik kann den ganzen Tag über auftreten, zeigt sich jedoch häufiger in den frühen Morgenstunden. Wenn die Symptomatik abhängig von der dopaminergen Stimulation ist, empfiehlt es sich, die Medikamente anzupassen. Meist zeigt sich jedoch die unwillkürliche Bewegung unabhängig von der Einstellung. In diesen Fällen kann Botulinumtoxin eingesetzt werden. Zwei Hauptformen sind zu nennen:

1. Unwillkürliches Strecken der Großzehe

Die restlichen Zehen bleiben in Ruhestellung oder bewegen sich nur wenig, es kommt vor allem zu einer Überstreckung der Großzehe. Hier genügt die Injektion in den Großzehenstrecker (Musculus extensor hallucis longus). Der Muskel liegt am Unterschenkel, eine Injektionsstelle genügt.

2. Zehenbeugung

Die zweite Form ist für den Patienten häufig störender, es kommt zu unwillkürlicher Beugung der Zehen, vor allem der kleinen Zehen, aber auch der Großzehe. Hier muss unterschieden werden, ob einer der beiden oder beide Zehenbeugermuskeln beteiligt sind. Der kurze Beuger liegt an der Fußsohle, der lange Beuger am Unterschenkel. Auch hier erfolgt eine Injektion unter Ultraschallkontrolle in den Muskel (Abb. 4).

Zusammenfassung: Botulinumtoxin ist seit vielen Jahren zur Behandlung verschiedener Symptome und Erkrankungen zugelassen und etabliert. Auch beim Parkinson-Syndrom kann das Medikament erfolgreich eingesetzt werden. Einige Anwendungen werden bereits von der Kasse übernommen, die Indikation Speichelfluss ist derzeit in der Zulassungsphase – und einige Indikationen können nur mit Zustimmung des Kostenträgers behandelt werden.

Autor: Prof. Dr. Wolfgang Jost
Chefarzt der Parkinson-Klinik Ortenau
Kreuzbergstr. 12-16 | 77709 Wolfach
Leiter der Botulinumtoxin-Ambulanz
Neurozentrum
Uniklinik Freiburg i.Br.
Breisacher Straße 64 | 79106 Freiburg