Biochemie und Botenstoffe

Die Paketboten des Nervensystems

Nervenzellen müssen ständig miteinander „sprechen“. Dafür brauchen sie Botenstoffe, auch Neurotransmitter genannt. Sie steuern unser Denken, Handeln und auch unsere Gefühle

Es gibt Dutzende Neurotransmitter, nicht nur die berühmten Stars Dopamin, Serotonin und Adrenalin. Ihre Aufgabe? Informationen von einer Nervenzelle zur anderen zu liefern. Der Vorgang ist natürlich hoch kompliziert, aber für unseren Grundkurs Biologie können wir ihn folgendermaßen beschreiben: Die chemischen Botenstoffe sitzen am Ende einer Zelle in kleinen Bläschen (Vesikeln). Um von einer Zelle zur anderen zu gelangen, müssen sie erst eine Lücke zwischen den Zellen überwinden, den sogenannten synaptischen Spalt. Denn Nervenzellen arbeiten nur innerhalb der Zelle mit elek­tri­scher Spannung, sind aber in der Regel nicht elektrisch verbunden. Kommt also am Zellende ein elek­tri­scher Impuls an, verschmelzen die Bläschen mit der Zell­mem­bran, die Neurotransmitter stürzen in den synaptischen Spalt. Das Signal verwandelt sich in ein chemisches. Jetzt können die Neurotransmitter an Rezeptoren der Synapse des nächsten Neurons andocken, wo sie je nach Art des Botenstoffs entweder erregend oder hemmend wirken.

GABA – Die Coole

Nein, GABA ist nicht der Name eines Aliens aus „Star Wars“, sondern die Abkürzung für Gamma-Aminobuttersäure, den wichtigsten hemmenden Botenstoff im zentralen Nervensystem. GABA macht vor allem eines: Es beruhigt. Viele Arzneimittel machen sich das zunutze. Sie setzen an den GABA-Rezeptoren an und wirken sedierend, beruhigend und krampflösend. Dazu gehören zum Beispiel Barbiturate und Benzodiazepine. Eine Reihe von Beschwerden und Krankheiten gehen Hand in Hand mit einem niedrigen GABA-Spiegel, zum Beispiel nervöse Anspannung, chronische Schmerzen, Tinnitus, das prämenstruelle Syndrom und Epilepsie. Auch für einen gesunden Schlaf brauchen wir eine angemessene Portion des Neurotransmitters. Und zusätzlich noch genügend Serotonin. Denn Studien zeigen, dass zu wenig Serotonin die Wirkung der GABA-Rezeptoren beeinträchtigt. GABA wird übrigens aus Glutamat gebildet – mehr zu diesem Neurotransmitter lesen Sie im Kasten rechts unten.

SEROTONIN – Die Stimmungskanone

Immer wenn es um Serotonin geht, ist vom sogenannten Glückshormon die Rede – eine nicht ganz zutreffende Bezeichnung. Denn nur als Botenstoff wirkt es beglückend auf das menschliche Gemüt. Eigentlich müsste es also Glückstransmitter heißen. Tatsächlich macht Serotonin gute Laune, zu viel davon ist allerdings nicht zu empfehlen. Wir werden dann unruhig und nervös, sogar Halluzinationen wurden beobachtet. Apropos Rausch: LSD, die Kultdroge der 60er Jahre, hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Serotonin. LSD-Moleküle sind daher in der Lage, sich mit Rezeptoren zu verbinden, die eigentlich nur auf den Botenstoff reagieren. Schon eine winzige Menge LSD reicht aus, um das ganze Gehirn in einen Serotoninrausch zu versetzen. Zu wenig Serotonin verdüstert dagegen die Stimmung, ein ständiger Mangel kann Depressionen und Angststörungen auslösen. Mit Medikamenten, den sogenannten Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI), versucht man in diesen Fällen den Serotoninspiegel wieder anzuheben. Sie verhindern, dass Serotonin zu schnell abgebaut wird. Also Serotonin erhöhen, Stimmung wieder super? So einfach ist es leider nicht. Denn die Medikamente wirken erst nach mehrwöchiger Einnahme, und Erfolge zeigen sich nur bei schweren Depressionen.

DOPAMIN – Der Druffi

Wie Serotonin gilt auch Dopamin – ebenfalls nicht ganz korrekt – als „Glückshormon“. Der Botenstoff ist für die Wohlgefühle verantwortlich, die bei einem leckeren Essen, einer herausfordernden Klettertour oder dem ersten Kuss entstehen, und wird im Lustzentrum des menschlichen Gehirns, dem Nucleus accumbens im Vorderhirn, ausgeschüttet. Denn wenn wir etwas gerne tun und uns toll fühlen, wollen wir es wieder tun und wieder haben. Der Mensch hat gelernt, die Wirkungen des Dopamins erheblich zu verstärken – mit Zigaretten, Alkohol und anderen Drogen. Kokain hemmt zum Beispiel die Weiterleitung von Dopamin, so bleibt mehr im synaptischen Spalt. Bei allen Drogen gilt: Die Zellen mit Dopaminrezeptoren werden stärker und länger aktiviert. Drogen stimulieren das Lustzentrum bis zu zehnmal intensiver als Essen. So entsteht Sucht, denn das Gehirn verlangt immer mehr Dopamin. Der Neurotransmitter hat aber auch noch eine Reihe anderer Aufgaben. So leitet er zum Beispiel Impulse an die Muskulatur weiter. Bei zu wenig Dopamin beginnen die Muskeln unkontrolliert zu zittern. Im Lauf der Zeit kann eine Parkinsonkrankheit entstehen. Menschen, die unter Parkinson leiden, besitzen eine um etwa 80 Prozent geringere Dopaminkonzentration im Hirnstamm als Gesunde. Mit einem Überschuss an Dopamin sind wir dagegen sehr wach, können mehr empfinden und mehr Sinnesreize aufnehmen. Wir fühlen uns super, sogar euphorisch. Doch der Zustand ist fragil. Ein hochaktives Dopaminsystem kann auch zu Nervenzusammenbrüchen und Psychosen führen.

ACETYLCHOLIN – Der Alleskönner

Acetylcholin findet sich praktisch überall – im Gehirn und Rückenmark, aber auch in den anderen Nervensystemen. Es ist im Spiel, wenn Nervenimpulse auf die Muskeln übertragen werden. Fehlt der Transmitter, machen die Muskeln schlapp oder sind gelähmt. Aber Acetylcholin kann noch mehr. Es verlangsamt die Herzfrequenz und senkt den Blutdruck. Im vegetativen Nervensystem gilt es als Hormon, weil es in den Blutkreislauf ausgeschüttet wird. Außerdem bringt der Botenstoff die Verdauung auf Trab, erhöht den Speichelfluss und macht die Pupillen enger. In der Augenheilkunde ist es daher ein bewährtes Mittel, um etwa nach einer Grauer-Star-Operation die Pupillen wieder zu verengen. Auch denken, lernen und erinnern klappt nur, wenn genug von dem Stoff vorhanden ist. Das zeigt sich an der Alzheimerkrankheit. Dabei sterben zwar im ganzen Großhirn viele Zellen ab, hauptsächlich trifft es aber Nervenzellen, die Acetylcholin produzieren. Hier helfen sogenannte Acetylcholinesterase-Hemmer, Alzheimer ein bisschen zu bremsen. Das Medikament hemmt den Abbau des Botenstoffs, sodass in der Synapse mehr davon vorhanden ist.

GLUTAMAT – Das Superbrain

Glutamat, ist das nicht dieser Geschmacksverstärker aus dem Chinarestaurant? Ja, genau – aber das Salz der Glutaminsäure ist auch ein eminent wichtiger Botenstoff. Als Gegenspieler von GABA ist Glutamat in den meisten erregenden Synapsen für den Transport von Informationen zuständig. Ungefähr 50 Gramm produziert das menschliche Gehirn täglich. Auch dieser Botenstoff ist so etwas wie ein Global Player, mischt er doch bei vielen körperlichen und geistigen Prozessen mit. Zum Beispiel bei der Gewichtsregulierung, unserem Appetit und dabei, wie wir Bewegungen steuern. Ganz essenziell ist Glutamat fürs Lernen und für ein gutes Gedächtnis – aber auch hier gilt wie fast immer: Viel hilft leider nicht viel. Ein Übermaß kann Nervenzellen schädigen und steht im Verdacht, Alzheimer auszulösen. Einige Wissenschaftler glauben, dass zu viel Glutamat in der Nahrung Krebs verursachen kann und suchterzeugend wirkt, weil das Gefühl entsteht, nicht richtig satt zu werden. Allerdings sind die meisten Forscher der Überzeugung, dass Glutamat nicht die Blut-Hirn-Schranke überwinden kann.

Mehr dazu in der Leseprobe aus dem Buch zu diesem Beitrag: Lionel Naccache, Karine Naccache: Der kleine Gehirnversteher, C.H.Beck, 2019

Quelle: Artikel von VON ANGELIKA SYLVIA FRIEDL in der „taz – die tageszeitung“ https://taz.de/!5651548/


Damit unsere Bewegungen normal ablaufen können, müssen Signale im Gehirn verarbeitet und über den Hirnstamm und das Rückenmark bis zu den jeweiligen Muskeln weitergeleitet werden.

Dazu tauschen die Nervenzellen im Gehirn ständig Informationen in Form von elektrischen Impulsen aus. Die einzelnen Nervenzellen im Gehirn nehmen an den Kontaktstellen (Synapsen) Kontakt mit anderen Zellen auf. Die Zellen verwenden dafür chemische Botenstoffe (so genannte Neurotransmitter).

Diese Botenstoffe werden von einer Nervenzelle in den Zwischenraum zwischen den Nervenfasern (synaptischer Spalt) ausgeschüttet und tragen die Signale zu den Andockstellen (Rezeptoren) der nächsten Zelle, die diese Signale aufnehmen und wiederum in elektrische Impulse umwandeln und weiterleiten.

Für die Nachrichtenübermittlung verwenden die Nervenzellen unterschiedliche Botenstoffe. Wenn eine Aktivität im Körper angeregt werden soll, verwenden sie aktivierende Botenstoffe, wenn dagegen etwas gehemmt werden soll, werden hemmende Botenstoffe ausgeschüttet. Damit die Bewegungsabläufe korrekt ausgeführt werden können, müssen gleichzeitig aktivierende und hemmende Impulse ausgesendet werden, die in einem fein aufeinander abgestimmten Zusammenspiel die Bewegungen steuern. Gerät das Gleichgewicht zwischen den aktivierenden und hemmenden Botenstoffen durcheinander, ist auch der Bewegungsablauf gestört.

Die Rolle von Dopamin

Eine Schlüsselrolle in der Regulierung von Bewegungen spielt der Botenstoff Dopamin. Zur Produktion von Dopamin verwenden die Zellen die Aminosäure Phenylalanin, die mit der Nahrung aufgenommen wird. Sie wird in der Zelle zu Dopamin verstoffwechselt, das dann in kleinen Speicherbläschen der Zellen eingelagert und bei Bedarf freigesetzt wird. Das freigesetzte Dopamin erreicht im synaptischen Spalt die Dopamin-Rezeptoren des Streifenkörpers (Corpus striatum). Danach wird ein Teil von ihm in die Bläschen wieder aufgenommen, ein anderer Teil muss abgebaut werden. Der Rezeptor wird dann freigegeben. Den Abbau übernehmen zwei Enzyme: die Monoaminoxidase Typ B (MAO-B) und die Catechol-O-Methyltransferase (COMT). Für die Wiederaufnahme (Reuptake) sind die so genannten Autorezeptoren verantwortlich.

Bei der Parkinson-Krankheit ist die Produktion von Dopamin gestört, weil ein Enzym, die Tyrosinhydroxylase, fehlt und dadurch die Produktionskette Phenylalanin-Tyrosin-DOPA-Dopamin unterbrochen wird.

Dopamin kann hemmende und aktivierende Impulse weiterleiten. Bei der Nachrichtenübermittlung von der Schwarzen Substanz zum Streifenkörper wirkt Dopamin vorwiegend hemmend.

Der Botenstoff Acetylcholin

Für die Übertragung von Bewegungsimpulsen spielt der Botenstoff Dopamin eine entscheidende, aber nicht die alleinige Rolle. Ein weiterer wichtiger Botenstoff ist Acetylcholin.

Während Dopamin bei der Nachrichtenübertragung von der Schwarzen Substanz an den Streifenkörper eine Rolle spielt, dient Acetylcholin zur Kommunikation anderer Gehirnbereiche mit dem Streifenkörper. Dopamin wirkt im Streifenkörper vor allem hemmend, während Acetylcholin eine aktivierende Wirkung hat.

Wenn nun – wie bei der Parkinson-Krankheit – Zellen der Schwarzen Substanz absterben und dadurch weniger Dopamin produziert wird, entsteht im Streifenkörper ein Dopamin-Mangel. Das Gleichgewicht zwischen hemmendem Dopamin und aktivierendem Acetylcholin gerät im Streifenkörper durcheinander, der Einfluss des aktivierenden Acetylcholin überwiegt (Überschuss an Acetylcholin).

Komplizierter wird das Problem, wenn sich neben der Parkinson-Krankheit auch eine Demenz entwickelt. Aus der Alzheimer-Forschung wissen wir, dass die dementielle Entwicklung unter anderem auf den in bestimmten Hirnregionen bestehenden Mangel an Acetylcholin zurückzuführen ist. In solchen Fällen können anticholinerg wirkende Parkinson-Mittel (die sog. Anticholinergika) die Symptome der Demenz verstärken. Auch aus diesem Grund werden diese Medikamente heute nur sehr selten verwendet.

Glutamat

Vom Absterben der Zellen in der Schwarzen Substanz sind noch weitere Botenstoffe betroffen, die ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. Dazu gehört der Botenstoff Glutamat, der immer aktivierend wirkt. Durch das Absterben Dopamin-produzierender Zellen und dem damit verbundenen Dopamin-Mangel kommt es zu einem relativen Überschuss an aktivierendem Glutamat. Dies ist wahrscheinlich für die Entstehung von Überbewegungen im fortgeschrittenen Zustand der Krankheit verantwortlich.

Weitere Botenstoffe

Weitere betroffene Botenstoffe sind die Gamma-Amino-Buttersäure (GABA), die eine hemmende Wirkung hat, und die Botenstoffe Noradrenalin und Serotonin. Noradrenalin spielt wahrscheinlich in der Entstehung der Freezing-Erscheinungen (Starthemmung) eine Rolle. Serotonin und Noradrenalin können für die Depression verantwortlich sein.

Insgesamt gerät durch den Dopamin-Mangel das feine Gleichgewicht zwischen hemmenden und aktivierenden Botenstoffen durcheinander. Dadurch werden vom Gehirn falsche Signale an die Muskulatur weitergeleitet.

Stand Dezember 2012