Wundermittel Bewegung

Weshalb Bewegung den Geist bis ins hohe Alter fit hält 

Wer sich bewegt, kann sich Dinge besser merken – und sorgt dafür, dass das Gedächtnis auch im Alter funktioniert. Warum ist das so? 

Stuttgart. Binomische Formeln, Englischvokabeln oder einfach nur eine komplizierte Bedienungsanleitung: Manchmal will einfach nicht ins Hirn, was dringend dort hinein soll. Einige greifen dann zum leistungssteigernden Amphetamin. Dabei gibt es ein anderes Wundermittel, das unseren Denkapparat unterstützt: Bewegung. Sie hilft nicht nur, überflüssige Pfunde zu bekämpfen, leichte Depressionen zu vertreiben, das Herz-Kreislauf-System in Gang zu bringen und die Immunabwehr zu stärken. Auch unser Gehirn profitiert von regelmäßiger Bewegung. Das gilt für den Schüler ebenso wie für den Greis und hilft sowohl prophylaktisch als auch im Moment der körperlichen Aktivität. „Bewegung fördert die Ausschüttung des Nervenwachstumsfaktors (NGF für „new growth factor“, Anm.), einer Substanz, die die Neuronen, sprich: unsere Nervenzellen, sowie die Synapsen, also die Verbindungen dazwischen, stärkt, nährt und zum Wachsen bringt. Dadurch bildet sich ein leistungsfähiges neuronales Netzwerk, das unser Können und Wissen speichert“, erklärt die Neurowissenschaftlerin Manuela Macedonia. Fünf Jahre hat sie am Max-Planck-Institut zum Einfluss von Bewegung auf Gedächtnisprozesse geforscht und ist jetzt leitende Wissenschaftlerin an der Universität Linz. In ihrem Buch „Beweg Dich! Und Dein Gehirn sagt Danke“ erklärt sie weiter, warum Bewegung unseren Geist fit hält. Da ist zum einen die Stärkung der Struktur des Hippocampus, Sitz unseres Kurzzeitgedächtnisses und eine Art Navigationssystem. „Wenn der Hippocampus sehr angeschlagen ist, dann finden besonders ältere Menschen oft den Weg nicht mehr nach Hause. Dabei kann man auch im Alter mit regelmäßigen Spaziergängen dem Schrumpfen des Hippocampus entgegenwirken“, sagt Macedonia. Man könne eine Demenz zwar nicht komplett aufhalten, aber verlangsamen.

Der dritte positive Effekt von Bewegung auf unser Gehirn ist die Förderung der Neurogenese, der Entstehung neuer Gehirnzellen aus Stamm- und Vorläuferzellen. Im menschlichen Gehirn bilden sich nämlich bis ins hohe Alter täglich neue Nervenzellen. „Die Zellen wandern in die verschiedenen Hirnregionen, wo sie benötigt werden. Lernt ein Mensch etwas, werden durch neues neuronales Material die Netzwerke im Gehirn ausgebaut. Je mehr davon vorhanden, umso besser lerne und behalte ich Dinge.“

Wichtig ist bei alldem die Bewegung der Beine. Joggen, walken, Rad fahren und schwimmen wirken Wunder. Allerdings reicht es nicht aus, einmal für ein Stück Torte zum Bäcker zu laufen. „Gemeint sind mindestens 10 000 Schritte pro Tag“, führt Manuela Macedonia aus. „Und das am besten am Stück.“ Selbst ein superschlauer Mensch profitiert auf lange Sicht von mehr Bewegung: „Ein natürlicher Degenerationsprozess bestraft im Alter auch den hochintellektuellen Nerd“, sagt Macedonia. Unerlässlich ist konstante Bewegung für Frauen in den Wechseljahren. Häufig leiden diese unter Hitzewallungen, Depressionen oder Schlafstörungen. Gerade dann ist es wichtig, sicht aufzuraffen: „Der weibliche Körper bildet weniger Hormone wie Estradiol, das viele Andockstellen im Gehirn hat. Deshalb verzeichnet man gerade bei Frauen eine höhere Anfälligkeit für Demenzerkrankungen.“ Wem das zu sehr in ferner Zukunft liegt, der kann auch heute und hier schon von Bewegung profitieren: Vokabeln, Zahlen, Prüfungswissen, all das funktioniert besser, wenn man gleichzeitig geht. Den Wissenschaftspodcast behält man beim Joggen besser im Gedächtnis, als wenn man ihn beim Kochen hört. Lernstoff aufgenommen und beim Spaziergang abgespielt, bleibt besser hängen als am Schreibtisch. Vokabeln, die man im Gehen übt oder mit Gesten verbindet, vergisst man nicht so leicht wieder. Einige Schulen setzen auf bewegtes Lernen , also Lernen, ohne still am Platz zu sitzen. „Die Bewegung sorgt für die Ausschüttung von NGF, und vor allem ist die Fokussierung auf das zu Lernende erhöht“, sagt Macedonia. Sie selbst ist täglich in Bewegung – und läuft sogar beim Interview herum, um sich besser konzentrieren zu können.