Altern findet auch im Kopf statt

Wie uns der Kopf im Alter jung hält: Sich jünger zu fühlen und gleichzeitig dem Altern positiv gegenüberzustehen kann das Leben verlängern. 

Stuttgart. Man ist so alt, wie man sich fühlt: Diese Volksweisheit klingt klischeehaft in einer Gesellschaft, in der kaum jemand alt wirken will. Nur: Es scheint tatsächlich etwas dran zu sein. Denn unser subjektiv gefühltes Alter beeinflusst, wie schnell wir biologisch altern. Allerdings macht es auch einen großen Unterschied, ob wir dem Altern positive Seiten abgewinnen können oder das Älterwerden als Schreckgespenst wahrnehmen. „Für die Gesundheit und Langlebigkeit ist sowohl das Sich-jünger-Fühlen als auch eine generell positive Einstellung gegenüber dem Älterwerden gut“, sagt die Alternsforscherin Susanne Wurm von der Unimedizin Greifswald.

Tatsächlich kamen US-Wissenschaftler bereits in einer frühen Studie zu dem Ergebnis: Menschen mit einer positiveren Sicht auf das Älterwerden lebten im Durchschnitt siebeneinhalb Jahre länger als Menschen mit einer negativeren. Die Haltung gegenüber dem Älterwerden macht sich auf vielen Ebenen im Körper bemerkbar. Zum Beispiel beim Herz. Eine positivere Einstellung geht seltener mit Herzerkrankungen einher als eine negative.

Dass Altern durchaus eine Kopfsache ist, zeigt sich auch genau dort: im Gehirn. Ältere Personen, die sich jünger als ihr tatsächliches Alter betrachten, haben ein biologisch jüngeres Gehirn. Insofern überrascht es nicht, dass bei subjektiv Junggebliebenen die geistigen Kräfte wie das Gedächtnis im Alter weniger nachlassen.

Ein wichtiges Anzeichen für biologisches Altern von Zellen ist die Länge der Telomere. Telomere sind die Schutzkappen an den Enden der Chromosomen. Mit jeder Zellteilung werden sie kürzer, bis sich die Zellen nicht mehr teilen und vergreisen. Eine kürzere Telomerlänge ist ein Marker für beschleunigte Zellalterung. In einer US-amerikanischen Studie mit mehr als 300 älteren Erwachsenen wurde sowohl deren Einstellung gegenüber dem Altern unter die Lupe genommen als auch vier Jahre später die Länge ihrer Telomere. Probanden mit negativer Haltung hatten vier Jahre später kürzere Telomere, waren also biologisch schneller gealtert.

Doch so eindrucksvoll solche Zusammenhänge sind, stellt sich die berühmte Frage nach Henne und Ei. Beeinflusst tatsächlich die Einstellungen gegenüber dem Altern und das subjektive Alter die Gesundheit und Langlebigkeit? Oder verhält es sich gerade umgekehrt? Schließlich könnte es ganz einfach so sein: Man erlebt bei sich selbst eine schlechte körperliche Gesundheit oder ein Nachlassen der geistigen Leistungsfähigkeit. Diese Einbußen führt man auf das Älterwerden zurück. Und in der Folge fühlt man sich älter.

Beobachten Forscher Menschen über einen längeren Zeitraum, können sie erkennen, was zuerst da ist. Sowohl das Sich-jünger-Fühlen als auch eine positive Einstellung gegenüber dem Altern hätten positive Effekte, sagt Forscherin Susanne Wurm. „Sie tragen dazu bei, dass Menschen über die Zeit hinweg weniger erkranken, eine bessere Mobilität haben, seltener stürzen und seltener an Demenz erkranken.“ Die Psyche scheint also sehr objektive Aspekte wie Langlebigkeit zu beeinflussen.

Das bestätigt der Psychologe und Alternsforscher Hans-Werner Wahl von der Uni Heidelberg. Zwar seien die Effekte nicht immer riesig, aber man müsse sich vor Augen führen: „Das subjektive Alter und die Einstellung zum Altern haben einen größeren Effekt auf die Langlebigkeit als beispielsweise das Rauchen.“ Aus Wahls Sicht ist das subjektive Alter viel entscheidender als das objektive. In einem Aufsatz hat es der Forscher einmal ein wenig zugespitzt so dargestellt: „Altern findet vor allem im Kopf statt.“

Doch wie schafft es das, was im Kopf stattfindet, solch eine Wirkung auf den Körper zu haben? Verschiedene Mechanismen sind hier am Werk. Der eine Wirkpfad führt über das Gesundheitsverhalten. Menschen, die sich subjektiv jünger fühlen oder eine positivere Sicht auf das Älterwerden haben, sind körperlich aktiver. Sie ernähren sich besser und gehen häufiger zu Vorsorgeuntersuchungen.

„Es gibt dabei Abwärtsspiralen und Aufwärtsspiralen“, sagt Susanne Wurm. „Wer etwa negativer auf das Altern blickt, betätigt sich körperlich weniger, dadurch baut er physisch schneller ab, was zu einer noch negativeren Sicht auf das Altern führt.“

Ein anderer Wirkpfad führt über die Psyche, sagt Hans-Werner Wahl. Wenn man etwa sage: „Frau Schmidt, toll, dass Sie als hochaltrige Dame es hierher geschafft haben und an einem kognitiven Test teilnehmen.“ Dann werde sie schlechter bei dem Test abschneiden, als wenn man ihr Alter nicht betont. Das habe mit Motivation zu tun, so Wahl. „Wenn man sich jünger fühlt, glaubt man, mehr erreichen zu können.“ Solche Menschen hätten das Gefühl, Dinge bewirken zu können. Das resultiert wiederum in einen höheren Lebenswillen. Ein guter Anreiz, um gesünder und länger zu leben.

Quelle: Stuttgarter Zeitung vom 6.9.2021